
Ein eigenes Haus zu bauen gilt als typisches Merkmal der Mittelschicht. Maximal 25 Prozent der Österreicher fallen aber in diese Kategorie, so eine Studie. Viele sind Mieter oder haben ihr Haus geerbt.
Wien – Sie ist beliebt, die meisten Menschen fühlen sich ihr zugehörig, und Politiker aller Farben werben seit jeher um sie: die Mittelschicht. Spätestens seit rund um den Globus der Rechtspopulismus die politischen Arenen erobert, kommt sie nicht mehr aus den Schlagzeilen. Die Mitte ist bedroht und schreit auf, so der Tenor.
Eine Studie nimmt die österreichische Mittelschicht nun erstmals detailliert aus einer wirtschaftlichen Sicht unter die Lupe. Von "der" Mittelschicht zu sprechen ist demnach schon einmal der erste Fehler in einer wenig von Fakten geprägten Debatte. Die Arbeit ist Teil des Sozialberichts, der kommende Woche erscheint. Sie liegt dem STANDARD vorab vor.
Österreich ist anders
Die beiden Ökonomen Martin Schürz und Pirmin Fessler legen die Mittelschicht unter das Messer und halbieren sie noch einmal. Der Teil der Mitte, der hierzulande wirklich gefährdet ist, sei der ohne nennenswerten Vermögensbesitz. Im Unterschied zu anderen Ländern wie den USA lasse sich in Österreich auch ohne große Ersparnisse ein Leben in der Mitte führen. Noch, so die Autoren.
Ungünstige Großwetterlage
Denn am Himmel braut sich einiges zusammen. Junge starten später in den Beruf, wechseln häufiger den Job und haben unsichere Einkommen. Dazu komme, dass die Wirtschaft nur langsam wachse und die Arbeitslosigkeit stark gestiegen sei, skizzieren die Autoren die aktuelle Lage.
Dadurch, und weil der österreichische Sozialstaat weniger umverteile, würden private Vermögen wichtiger. "Das verstärkt die gesellschaftlichen Ungleichheitstendenzen", heißt es am Ende der Studie. Denn die entscheidende Trennlinie seien die Erbschaften. Wer erbe, könne ein abgesichertes Leben in der Mitte führen. Wer hingegen Monat für Monat seine Miete bezahlen müsse, sei von "Abstiegsrisiken bedroht".
Bestandsaufnahme
Die Studie nimmt eine neue Bestandsaufnahme der Mitte vor, die aus einem Mangel an Daten bisher nicht möglich war. Sie misst die Mitte nicht nur an den Einkommen, wie bisher üblich, sondern auch am Konsum eines Haushalts. Ein Pensionistenpaar, das wenig Rente bezieht, aber aufgrund hoher Ersparnisse tausende Euros im Monat ausgeben kann, klettert so aus der Mittelschicht empor.
1,5 Millionen Haushalte, die sowohl bei den Einkommen, als auch den Ausgaben zu den mittleren 60 Prozent gehören (20 Prozent haben weniger, 20 Prozent mehr), ist die Mitte der Arbeit nach groß. Das sind 40 Prozent aller Haushalte in Österreich. 31 Prozent fallen demnach in die Unter-, 29 Prozent in die Oberschicht. Die Ökonomen üben Kritik an der Debatte um die Mitte. So prüfen sie die fünf gängigen Indikatoren für die Entwicklung dieser Schicht, 91 Prozent der Österreicher fallen in eine der Definitionen. Das sei beliebig.
Öfter krank und arbeitslos
Eine Mittelschichtfamilie mit zwei Kindern hat der Studie zufolge im Schnitt 3.150 Euro netto im Monat zur Verfügung. Die genauen Grenzen werden nicht angegeben, ab circa 4.000 Euro steigt sie aber in die Oberschicht auf, hat sie weniger als 2.500 Euro, ist sie nurmehr knapp der Mitte zugehörig.
Die 40 Prozent der österreichischen Haushalte, die angepasst an die Größe der Familie diese Definition erfüllen, werden dann in eine abgesicherte Hälfte aufgeteilt, die Eigentum besitzt, und eine gefährdete, die keine nennenswerten Vermögen hat. Die obere Hälfte bleibt auch nach Abzug der Schulden ein beträchtliches Vermögen. Der Median liegt bei 270.000 Euro.
In Letzterer sind viele Facharbeiter, aber auch Maturanten. Sie sind mit 49 im Schnitt etwas jünger als die reicheren, häufiger krank, arbeitslos oder von Scheidungen betroffen. Hier liegt das mittlere Vermögen lediglich bei 13.000 Euro.
Wohlfahrtsstaat hilft
Ihr Konsumniveau könne dieser Teil der Mittelschicht nur aufrechterhalten, solange der Wohlfahrtsstaat sie schütze, heißt es in der Studie. Müssten sie für Alter, Bildung oder Krankheit ansparen, müssten sie ihren Konsum zurückfahren und könnten kein Mittelschichtleben mehr führen. "Der Sozialstaat muss nicht nur für Arme, sondern auch für große Teile der Mitte gestärkt werden." (Andreas Sator, 27.1.2017)