Wolfsburg/Braunschweig – Im VW-Dieselskandal gerät der frühere Vorstandsvorsitzende Martin Winterkorn zunehmend unter Druck: Die für die strafrechtlichen Ermittlungen zuständige Staatsanwaltschaft in Braunschweig hat nach eigenen Angaben vom Freitag inzwischen "hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte" dafür, dass dieser "früher als von ihm öffentlich behauptet" über Abgasmanipulationen informiert gewesen sein könnte.

Es bestehe der Anfangsverdacht des Betrugs und der "strafbaren Werbung" nach dem Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb. Die Behörde in der niedersächsischen Stadt berief sich dabei auf Erkenntnisse aus Zeugenbefragungen und Datenauswertungen im Zuge der von ihr selbst kurz nach Bekanntwerden der Volkswagen-Affäre im September 2015 eingeleiteten Ermittlungen zur Klärung der Verantwortlichkeiten innerhalb des Konzerns.

Bereits seit Juli 2016 ermittelt die Braunschweiger Staatsanwaltschaft gegen Winterkorn und einen anderen früheren Vorstand des Autobauers ohnehin wegen des Anfangsverdachts auf sogenannte Marktmanipulation nach dem Wertpapierhandelsgesetz. Demnach könnten diese den Kapitalmarkt "bewusst" zu spät über die Auswirkungen des Skandals auf VW informiert haben.

Die Staatsanwaltschaft weitete ihre Ermittlungen zum Abgasskandal demnach auch insgesamt noch einmal deutlich aus: Die Zahl der Beschuldigten sei von 21 auf 37 gestiegen, teilte sie mit. In allen Fällen gehe es um den Anfangsverdacht von Betrug und strafbarer Werbung.

Dienst- und Privaträume durchsucht

In dieser Woche seien insgesamt 28 Objekte in der Region Wolfsburg-Gifhorn-Braunschweig durchsucht worden. Dabei habe es sich sowohl um Dienst- als auch um Privaträume gehandelt. Nach Informationen der "Bild"-Zeitung wurden am Donnerstag auch Winterkorns Villa im Münchner Stadtteil Oberföhring sowie sein Büro in der Münchner Innenstadt durchsucht.

Nach eigenen Angaben war Winterkorn vor Herbst 2015 nicht über die Manipulationen an der Motorsteuerungssoftware von weltweit rund elf Millionen Dieselfahrzeugen informiert, die Deutschlands größten Autobauer in eine existenzielle Krise stürzten. "Das ist nicht der Fall", hatte er erst in der vergangenen Woche bei einem viel beachteten Zeugenauftritt vor dem Bundestags-Untersuchungsausschuss zu der Abgasaffäre in Berlin noch einmal bekräftigt.

Der Automobilexperte Ferdinand Dudenhöffer warnte vor hohen finanziellen Belastungen, die auf VW zukommen könnten. Sollten sich die Vorwürfe gegen Winterkorn erhärten, wovon er persönlich ausgehe, dann drohten dem Autobauer Niederlagen in Schadenersatzprozessen mit Aktionären. Sollten die Gerichte für die Investoren entscheiden, "kostet das VW nach meiner Einschätzung mindestens zehn Milliarden Euro", sagte dieser der Nachrichtenagentur AFP.

Zahlreiche Anteilseigner, darunter große institutionelle Anleger wie Pensionsfonds, haben Schadenersatzklagen gegen den Konzern angestrengt, weil dessen Aktien wegen des Skandals einbrachen. Der Nachweis etwaiger Betrugstaten an der Unternehmensspitze könnte außerdem Folgen in Prozessen um Schadenersatz für VW-Autokäufer haben, die sich getäuscht fühlen.

Die Regierung des wichtigen VW-Anteilseigners Niedersachsen wollte die Ausweitung der Ermittlungen zunächst nicht weiter kommentieren. Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) habe "volles Vertrauen in die Arbeit der Justizbehörden", teilte eine Regierungssprecherin in Hannover mit. Alle Beteiligten müssten abwarten, was deren Ermittlungen am Ende ergäben. (APA, AFP, 27.1.2017)