Für die einen ist Pünktlichkeit eine Zier und der Klebstoff des sozialen Miteinanders. Für die anderen ist der mitteleuropäische Hang zur (Über-)Pünktlichkeit schlicht Pedanterie. So unterschiedlich die Zugänge im Zwischenmenschlichen sind, mit dem Thema Verspätung schlägt sich nicht nur herum, wer auf den Freund im Kaffeehaus eine Stunde lang wartet oder mit dem gekochten Abendessen auf die Freundesschar, die einfach nicht auftaucht, weil Zeit ein fließendes Konzept ist und 20 Uhr auch eine allgemeine Empfehlung sein könnte.

Verspätungen sind in der großen Wirtschaftswelt teuer, führen aber auch bei den ganz Kleinen schon zu Problemen und vermeintlichen Lösungsversuchen. Das sieht man am Beispiel von Kindergärten. Und das nicht erst, seitdem vor drei Jahren im burgenländischen Großhöflein die Einführung einer Strafzahlung für unpünktliche Eltern medienwirksam diskutiert wurde.

In der Verhaltensökonomie wird schon weit länger über dieses Kindergartendilemma gestritten. Rein ökonomisch betrachtet wäre eigentlich zu erwarten, dass mit der Einführung einer Strafe fürs Zuspätkommen genau dieses eingedämmt wird und keine Fünfjährigen mehr sehnsüchtig auf Mama und Papa warten müssen und die Kindergartenbetreuer gleich mit ihnen.

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Noch ein bisschen spielen, bis Mama oder Papa kommen. Was Kindern vielleicht sogar manchmal Spaß macht, ist für Kindergartenpädagogen oft ein Problem, denn auch sie müssen auf unpünktliche Eltern warten. Mit einer Strafe ist das aber anscheinend auch nicht immer erledigt.
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Im Jahr 2000 verblüfften die Ökonomen Uri Gneezy und Aldo Rustichini allerdings mit einer Studie in israelischen Kindergärten. Ihre Ergebnisse legen nahe, dass mit Strafen genau das Gegenteil erreicht wurde – es gibt mehr Verspätungen der Eltern. Die Erklärung: Die Unpünktlichkeit bekommt ein Preisschild. Und wenn's was kostet, dann kostet's halt was. Eltern würden das in Kauf nehmen, bezahlen und sich damit quasi reinwaschen vom Stigma der Unpünktlichkeit. In der wissenschaftlichen Community wurde die Studie nicht besonders gut aufgenommen und auch wegen der verwendeten Methoden kritisiert. Die Autoren wiederholten das Experiment – mit demselben Ergebnis.

Pünktlichkeit als Geschäftsmodell

Doch im Kindergarten hört das Verspätungsdilemma nicht auf. Für Unternehmen kann das auch ins Geld gehen. Wie viel es zum Beispiel kostet, wenn bei Meetings immer 10 bis 15 Minuten lang gewartet werden muss, bis auch der letzte Teilnehmer endlich eintrifft, ist nicht quantifizierbar. Anders sieht es hier bei jenen Unternehmen aus, für die Pünktlichkeit ein Teil des Geschäftsmodells ist.

Seit Mai 2015 arbeitet die Agentur für Passagier- und Fahrgastrechte, kurz APF, Beschwerden in Österreich ab. Neben Verfahren wegen Fahrpreiserstattungen ist sowohl im Flug- als auch im Bahnbereich die Verspätung der jeweils zweithäufigste Grund für Beschwerden. Rund 220.000 Euro wurden seit die APF ihre Arbeit aufgenommen hat allein im Flugbereich für Verspätungen erwirkt.

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Verspätet, verspätet, verspätet. Passagiere von Zug oder Bahn können bei Verspätungen Geld zurückfordern.
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Anteilsmäßig halten sich die Kosten für die Unternehmen in Grenzen. Doch jeder verspätete Zug oder jeder unpünktliche Flieger heißt, dass die einen Mitarbeiter länger arbeiten müssen, die anderen länger warten, bis sie übernehmen können. Zusätzlich bindet die Abwicklung von Beschwerden ebenfalls Arbeitszeit.

Für manche ist die Warterei auch eine gern gesehene Pause.
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Entschädigungen

Die Höhe der Entschädigung, die Passagieren bei Verspätungen zusteht, ist bei Flügen von deren Ausmaß und der Flugstrecke abhängig. Als Richtwert gilt: 250 Euro gibt es ab drei Stunden Verspätung bei einem Europaflug, 400 Euro bei Flügen in den Nahen Osten, 600 Euro bei einer Transatlantikstrecke. Einzige Voraussetzung: Die Verspätung muss von der Airline selbst verschuldet sein. Im Zugbereich gilt das Europäische Passagierrecht, bei Verspätungen von 60 bis 119 Minuten gibt es 25 Prozent des Fahrpreises, ab 120 Minuten 50 Prozent rückerstattet. Den Ärger über einen verpassten Anschlussflug oder das wegen des ausgefallenen Zuges geplatzte Meeting wird das nicht ganz lindern können.

Irgendwann wird der neue Flughafen in Berlin tatsächlich eröffnet werden. Wahrscheinlich. Bis dahin können die Rehe noch in Ruhe über die Wiesen laufen.
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Verspätungen treffen nicht nur die Passagiere von Flugzeugen oder Zügen. Ein langes leidiges Lied können davon auch die Betreiber von Flughäfen singen. Immer noch aktuell ist da der Flughafen in Berlin. Eigentlich sollte der Flughafen Berlin Brandenburg Willy Brandt schon im Oktober 2011 in Betrieb gehen. Vier Eröffnungstermine platzten jedoch – wegen Technikproblemen, Baumängeln und Planungsfehlern. Eine fünfte Verschiebung gab es mit Anfang dieses Jahres, der Termin 2017 sei ebenfalls nicht zu halten. Nächster Eröffnungsversuch: 2018. Vielleicht. Wenn alles gut läuft.

"Niemand hat die Absicht, einen Flughafen zu bauen"

In der Öffentlichkeit wurde die Flughafen-Chose längst zur Lachnummer. "Niemand hat die Absicht, einen Flughafen zu bauen" kursiert als Zitat in der deutschen Hauptstadt. In Anlehnung an den DDR-Staats- und Parteichef Walter Ulbricht, der im Juni 1961 mit dem Satz "Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu bauen" in die Geschichtsbücher einging. Zwei Monate später stand die Mauer, die Deutschland über Jahrzehnte teilen sollte.

Das einzig Gute an der dieser Analogie: Irgendwann wird der Berliner Flughafen demnach doch aufsperren. Die Verzögerungen kosten dennoch Geld, die andauernde Anpassung der Größe auch. Mittlerweile kostet der geplante Flughafen dreimal so viel wie ursprünglich gedacht. Nachdem ein Eröffnungsbeginn 2018 angedacht ist, in der Vergangenheit aber vieles schieflief, ist das vielleicht noch gar nicht das Ende der Kosten-Fahnenstange.

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Der Terminal 3 in Wien, früher auch als Skylink bekannt, ist seit 2012 in Betrieb. Mit erheblichen Verspätungen.
Foto: Hans Punz/dapd

In puncto Flughäfen reicht in Österreich aber auch der Blick nach Schwechat. Der Skylink, heute als Terminal 3 am Flughafen Wien bekannt, ließ ebenfalls ein paar Jahre auf sich warten. Die Kosten des Projekts, das mehrmals umgeplant worden war, hatten sich in sechs Jahren Bauzeit auf rund 830 Millionen Euro verdoppelt. Schon kurz nach der Eröffnung 2012 war klar, dass Adaptierungen benötigt werden. Bis Mai 2016 wurde wegen der Kostenexplosion gegen 20 Personen der involvierten Baufirmen und Bauleitung ermittelt. Zu einem Strafprozess kommt es aber nicht, die Ermittlungen sind seitdem eingestellt.

Im Privaten bleibt das Unpünktlichsein ebenfalls weitgehend ungeahndet. Bis auf einen hin und wieder aufflammenden Streit. Und kostet meistens nur Nerven. (Daniela Rom, 28.1.2017)