Öffnet ihrem jungen Gegenüber (Meo Wulf) die Augen für die Welt: Erni Mangold. Selbst bekam sie dann Standing Ovations.

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Wien – Niemand zuckt und baumelt so schön wie Meo Wulf. Wulf ist Harold. Ein morbider Jüngling mit friedhofsblondem Schopf, intelligent, aber verschlossen. Gerade hat er sich aufgeknüpft, um der adrett kostümierten und frisierten Mutter (elegant: Martina Stilp) Gefühle zu entlocken. Das war schon einfacher, vorgetäuschte Suizide nützen sich in der Schockwirkung nämlich ab. Je nach Zählung steht er derzeit bei 15 oder zwölf. Verstümmelungen zählen nicht.

Auf der Mülldeponie ist Harold gern. Auf dem Schrottplatz auch. Oder er sieht Abrissunternehmen zu. Ein Schelm, der davon allzu flugs zur Faszination weiterdenkt, die dem jungen Mann angesichts der weidlich älteren Maude einfährt. Am Friedhof lernen sie einander kennen. Ihre Leichtigkeit gibt seiner Schwermut Flügel.

JosefstadtTheater

1971, als Collin Higgins die dunkel schillernde Komödie Harold und Maude schrieb, war Erni Mangold Mitte 40. Doppelt so alt wurde sie am Donnerstag, als das Stück in den Kammerspielen anlässlich ihres 90ers Premiere feierte. Angenommen hat sie – altersabgeklärt – die Rolle nur unter der Bedingung einer Umdichtung.

Michael Schottenberg, der die Regie bandscheibenvorfallsbedingt an Fabian Alder abtreten musste, hat sie besorgt, dem Stoff ein bisschen Märchenhaftes genommen und Realismus zugegeben. Sachte hat er ihn im selben Abwasch in die neuen Zeiten gehoben: Ob er cybergemobbt würde, will nunmehr etwa der Psychologe von Mangolds jungem Bühnenpartner wissen.

Eine Mystikerin, die Bäume ausreißt

Ganz anders geht Maude dessen hölzernem Gehabe auf den Grund. Sie ist unkonventionell. Eine Frau, die Bäume ausreißt (aus Töpfen, um sie anderswo wieder einzupflanzen), eine Robbe hält (herzig!) und Apparate erfindet, die verrenkteste Düfte darbieten. Ein 86-jähriges Aktmodell ("Das ist lange her!") und eine Mystikerin des Werdens und Vergehens von Blumen. Sie lehrt Harold, die Welt zu sehen.

Während sich daraus Liebe entwickelt, castet die Mutter Partnerinnen (wandlungsfähig: Silvia Meisterle) für den Sohn. Unter ihnen eine wirre Schauspielerin, die der Inszenierung eine ihrer köstlichsten Szenen beschert: Hochbegeistert zeigt sie sich von den Selbsttötungsfakes ihres Dates.

An tollen Szenen mangelt es den eineinhalb Stunden (plus Pause) auch sonst nicht. Oliver Huether und Tany Gabriel komplettieren das Ensemble u. a. als im irritierend engen Doppelpack auftretende Kommissare. Zusätzlich zu den von Wulf herrlich kühl abgespulten Selbsttötungen kommt auch mit ihnen Slapstick nicht zu kurz.

Sentimental schön

"Versuche, jeden Tag etwas Neues zu tun", lautet einer von Maudes im besten Sinn Poesiebuchsprüchen. 59-mal stehen sie bis Ende Juni noch auf dem Programm. Dann tritt Mangold ab. Es ist ihre letzte Theaterrolle, zumal auf jener Bühne, auf der ihre Karriere vor 70 Jahren begann. Denn: "Mein Gott, so wichtig ist das Theater auch nicht."

Außerdem gebe es "für alte Weiber sowieso keine Rollen mehr – und Nathan den Weisen bietest du mir nicht an", wandte sie sich unter Beifall und Gelächter keck an Josefstadtdirektor Herbert Föttinger, der nach der Vorstellung öffentlich gratulierte. Von Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny ("Der auch noch?") bekam die Jubilarin den Goldenen Rathausmann. Sie hatte ihn sich schon gewünscht, gestand sie.

Schalk und Glück, Mangolds Gesicht stehen beide gut. Leicht hüpft sie über die Bühne (sparsam: Hans Kudlich), tanzt und singt. Keine klassische Altersrolle und doch eine. Aber die Mangold ist groß und jung genug, um das zu nehmen. Sentimental schön. (Michael Wurmitzer, 27.1.2017)