Die Bretter, die die Welt bedeuten. Zumindest in Wijk aan Zee.

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Wijk aan Zee – Markus Ragger verpasst den Aufstieg in die Masters-Gruppe des Traditionsturniers von Wijk aan Zee mit einem geteilten ersten Platz denkbar knapp. Der Kärntner remisiert seine Letztrundenpartie gegen den stocksoliden Niederländer Erwin L’Ami mit den schwarzen Steinen, wodurch Gawain Jones ein Unentschieden in seiner Partie gegen Chinas Shanglei Lu genügt, um aufgrund des Sieges im direkten Duell mit Ragger die Nase vor dem Österreicher zu haben.

Kurz nachdem Markus Ragger seine Partie beendet hat, sieht es allerdings noch so aus, als würde alles für ihn laufen: Mehr oder weniger grundlos befreit sich der mit Schwarz spielende Jones im 38. Zug von einem seiner beiden Springer und gerät damit in akute Verlustgefahr. Raggers anderer Konkurrent, Ilia Smirin, verliert parallel chancenlos gegen den Kanadier Eric Hansen, sodass einzig und allein der Ausgang der Partie Lu gegen Jones über den Sieg im Challengers von Wijk aan Zee entscheiden muss.

Glück für Jones

Zwar kann Jones für den geopferten Springer auf Kompensation in Form von zwei Bauern und einiger Initiative verweisen. Die mitrechnenden Programme werden aber Zug für Zug skeptischer und zeigen bald mehrere Wege für den Chinesen an, Damentausch herbeizuführen und damit ein vermutlich gewonnenes Endspiel aufs Brett zu bringen – in welchem Fall Markus Ragger mit neun Punkten den alleinigen ersten Platz und damit den größten Erfolg seiner bisherigen Karriere verbuchen dürfte.

Aber es kommt anders: In heraufdräuender Zeitnot begeht Lu einige Ungenauigkeiten, die Jones unmittelbar nach der zweiten Zeitkontrolle nutzen kann, um die Partie in den für ihn goldenen Remishafen zu steuern. Ein Dauerschach besiegelt das Unentschieden und zerstört die Hoffnungen der österreichischen Schachfans auf eine Partie Ragger gegen Carlsen beim Masters von Wijk aan Zee im kommenden Jahr.

Ginge es nicht in erster Linie um den Aufstieg in die Masters-Gruppe, der Kärntner dürfte mit seinem Turnier sehr zufrieden sein: Mit dem geteilten ersten Platz bestätigt Ragger seinen Aufwärtstrend und macht Anstalten, sich längerfristig jenseits der Elo-Schallmauer von 2700 Punkten zu etablieren, die die erweiterte Weltspitze vom Rest der Schachgroßmeister trennt. In der neuen Weltrangliste wird er mit 2703 Punkten einen neuen österreichischen Rekord aufstellen. Trotz der Enttäuschung auf der Ziellinie darf man also mehr als gespannt auf das weitere Schaffen der österreichischen Nummer eins sein.

Triumph für So

Im Masters bejubelt der von den Philippinen stammende US-Amerikaner Wesley So seinen ersten Sieg in der Königsklasse von Wijk aan Zee. So ist unter allen Teilnehmern beider Gruppen der einzige Spieler, der über dreizehn Runden ungeschlagen bleibt. Er legt mit neun Punkten einen vollen Punkt Abstand zwischen sich und den zweitplatzierten Schachweltmeister Magnus Carlsen, dem er damit auch in der Live-Ratingliste unangenehm auf die Pelle rückt.

Carlsen agiert nach dem knappen WM-Sieg im klassischen Schach und den verpassten Titeln bei der Schnell- und Blitzschach-WM in Doha weiterhin außer Form – zumindest für seine Verhältnisse. Nach einem versäumten dreizügigen Matt gegen Anish Giri kommt der Norweger nicht mehr richtig in die Gänge und kann So letztlich nie wirklich gefährden.

Dabei hatte kurz vor Schluss noch ein Witz die Runde gemacht: Magnus Carlsen habe seinem russischen Freund Jan Nepomniaschtschi ein gutes Abendessen versprochen, wenn diesem in seiner Letztrundenpartie gegen Wesley So ein Sieg gelänge.

Schlappe für Nepomniaschtschi

Nepomniaschtschi zeigt allerdings wenig Appetit. Ihm gelingt das Kunststück, gegen So mit Weiß schon nach zehn (!) Zügen komplett auf Verlust zu stehen – auf diesem Niveau ein Selbstfaller mit absolutem Seltenheitswert. Der US-Amerikaner, bereits seit über fünfzig Partien klassischen Schachs ungeschlagen, sagt danke und krönt seinen Turniererfolg durch einen mühelosen Schwarzsieg in dieser letzten Partie.

Bemerkenswert auch das Abschneiden von Qualifikant Baskaran Adhiban, der sich im Laufe des Turniers zum Publikumsliebling mausert. Der Inder agiert mit frechen Eröffnungsideen ohne falschen Respekt vor den Großen der Zunft – Magnus Carlsen etwa setzt er mit Schwarz ausgerechnet mit der Skandinavischen Verteidigung unter Druck – und wird am Ende mit dem großartigen dritten Rang belohnt.

Insgesamt besticht das Turnier in beiden Gruppen durch eine hohe Quote an entschiedenen Partien und starke Leistungen junger Talente aus aller Welt. Wijk aan Zee wird seinem Ruf als Highlight des Schachjahres somit voll und ganz gerecht, die nächste Auflage findet im Jänner 2018 statt.

Dragnev schlägt Schnellschach-Weltmeister

Eine Erfolgsmeldung gibt es auch aus Gibraltar: Österreichs Toptalent, der 17-jährige Valentin Dragnev hat am Wochenende beim "Gibraltar Chess Festival" sensationell den ukrainischen Schnellschach-Weltmeister Wassili Iwantschuk besiegt. Iwantschuk ist mit einer Elozahl von 2752 die aktuelle Nummer 16 der Weltrangliste. Dragnev wird damit erstmals über 2500 ELO-Punkten in der Weltrangliste stehen und hat seine zweite Großmeister-Norm in Reichweite. (Anatol Vitouch, 30.1.2017)