Im Blogbeitrag "Warum wir Linken über den Islam nicht reden können" war die Rede vom neuen rassistischen Diskurs von FPÖ, AfD und Co und von dem – sich selbst als "antirassistisch" missverstehenden – Diskurs des linken und liberalen Mainstreams. Beide stellen eine falsche fixe Verknüpfung – mehr noch: eine "volle Identität" – zwischen Individuen aus islamisch geprägten Gesellschaften und dem Islam her. Rassistisch ist genau diese fixe Verknüpfung und nicht, wie es Begriffe wie "Islamophobie" suggerieren, die Angst vor einer (oder die Ablehnung einer) Glaubenslehre.

Linke, die "Islamophobie" als "rassistisch" bezeichnen, fassen ein Glaubensbekenntnis als eine Art Individuum auf, dem so etwas wie Menschenrechte zustehen, sodass ihnen die Inschutznahme einer Glaubenslehre "antirassistisch" erscheint – was letztlich die Preisgabe jeden Anspruchs auf Religionskritik bedeutet.

Auf den Vorwurf fehlenden religionskritischen Bewusstseins reagieren jene Linken mit Formeln wie: "Religionskritik allein ist zu wenig. Um religiösen Fundamentalismus zu verstehen, braucht es Kapitalismuskritik beziehungsweise. Machtkritik." Und übersehen, dass Religionskritik den Kern jeder Machtkritik bildet (siehe den Beitrag "Religionskritik ist mehr als Kritik am 'Islamismus'").

Die lange Liste der Solidarität mit "Islamisten"

Zudem fällt hier auf, dass jene Linken, konfrontiert mit dem Vorwurf, sie seien nicht in der Lage, kritisch über Religion zu reden, diesen Vorwurf bestätigen, indem sie eben nicht über Religion reden – sondern über "Fundamentalismus". Im Falle des Islam: über "Islamismus".

Wer nun meint, dass linke Vertreter der Ideologie der "vollen Identität" wenn schon nicht dem Islam, dann wenigstens dem "Islamismus" gegenüber eine konsequent kritische Haltung einnehmen würden, könnte sich täuschen. Zumindest was jenen "Islamismus" betrifft, der 1979 im Iran an die Macht gekommen ist. Denn: Die Liste der (untereinander durchaus unterschiedlichen) Vertreter des linken Spektrums, die sich 1979 mit der islamischen Revolution solidarisierten oder heute in der Islamischen Republik Iran einen strategischen Verbündeten sehen, ist lang.

  • Jene "Antiimperialisten" etwa, die, wann immer von Menschenrechtsverletzungen im Iran die Rede ist, diese verharmlosen, relativieren oder verteidigen ("In Saudi-Arabien, Guantanamo, Abu Ghraib ... ist es/war es viel schlimmer!"). Und den Iran, in dem, genauso wie in Saudi-Arabien, ein brutaler, mafiös durchwachsener Kapitalismus herrscht, nicht selten als "antikapitalistische Insel" im kapitalistischen Weltsystem halluzinieren.
  • Oder John Rose, der Nahostexperte der Socialist Workers Party, der 2009, am Höhepunkt der Massenproteste im Iran, seine volle Unterstützung für die islamische Revolution von 1979 bekundete.
  • Auch der brillante linke Theoretiker Slavoj Žižek, an sich ein scharfsichtiger Kritiker des linksliberalen Mainstreams, scheint eine Schwäche für den sogenannten politischen Islam zu haben. So schreibt er in seinem 2008 publizierten Buch "Auf verlorenem Posten", er sei "versucht zu behaupten", dass der Islam "seine wahre Größe ... aus seiner potentiellen politischen Anwendbarkeit" beziehe (S. 87 f.).
  • Oder: Der verstorbene venezolanische Präsident Hugo Chávez, der dem Iran 2006 seinen "bedingungslosen Beistand" im Kampf gegen den Imperialismus zusicherte und bis zu seinem Tod herzliche Beziehungen zu Irans Ex-Präsident Ahmadinejad pflegte.

Die Liste ließe sich fortsetzen.

Vergehen vor dem "stärkeren Dasein" des Islam

Jene Machtkritik, die in Formeln wie "Religionskritik ist zu wenig, was wir brauchen ist Machtkritik" in Stellung gebracht wird, erweist sich übrigens bei genauerer Betrachtung noch aus einem anderen Grund buchstäblich als gegenstandslos: Lösen sich doch die Individuen, denen Machtkritik zugutekommen soll, in der vollen Identität mit "ihrer" "Muslimness" – noch ein Begriff aus der Diskurskiste der Ideologie der "vollen Identität" – gänzlich auf. Vergehen, frei nach Rilke, vor dem "stärkeren Dasein" des Islam. Werden als – von "ihrer" Kultur unterschiedene – Subjekte aus dem Diskurs eliminiert.

Foto: Reuters/Faisal Al Nasser

An dieser Stelle mögen linke Vertreter der Ideologie der "vollen Identität" einwenden (und diesem Einwand bin ich tatsächlich häufig begegnet), dass Begriffe wie "Muslimness" und "Islamophobie" ganz so wörtlich und ganz so buchstäblich nicht gemeint seien. Dass "Islamophobie" und "Muslimness" Begriffe seien, die man bei Bedarf einfach durch "brauchbarere" ersetzen könne.

Für die, die so reden, sind Begriffe bloße Instrumente des Diskurses. Je nach "Brauchbarkeit" konstruier-, einsetz- und austauschbar. Dass unser Denken und Handeln von so etwas wie Ideologie gesteuert wird, dass Ideologie – als sich selbst undurchsichtiges, falsches Bewusstsein – in Begriffen transportiert wird; und dass dies, frei nach Marx, "hinter unserem Rücken" geschieht – das alles übersehen jene linken Vertreter der Ideologie der "vollen Identität" dank ihrer instrumentellen Sicht auf Sprache und auf ihre Begriffe. Sie übersehen es, um dann in ihren Diskursen ebendieses "Hinter-dem-Rücken", also die Tatsache, dass sie gar nicht Herrinnen und Herren ihres eigenen Redens sind, in didaktischer Anschaulichkeit vorzuführen.

Dort etwa, wo linke Vertreter der Ideologie der "vollen Identität" zugeben, dass es am Islam durchaus Kritikwürdiges gebe, dass "Islamkritik" daher auf jeden Fall möglich sein müsse. Da sie aber zwischen vermeintlichen oder tatsächlichen Muslimen auf der einen und dem Islam auf der anderen Seite genauso wenig zu unterscheiden wissen wie zwischen dem Islam als herrschender und repressiver Ideologie in islamisch geprägten Gesellschaften und jenen "bei uns" lebenden, "von dort" stammenden Objekten rassistischen Ressentiments, wird ihnen "der Islam selbst", wie gezeigt, zum Schutzobjekt.

Unbehagen beseitigt – Problem bleibt

Sie müssen es daher, ihrer Bekundung "Kritik am Islam muss möglich sein" zum Trotz, mit akribischer Sorgfalt – aber ohne es selbst zu bemerken – vermeiden, auch nur Berührungspunkte zwischen dem Islam und Problemen islamisch geprägter Gesellschaften gelten zu lassen. Der Diskurs des linken (und auch des liberalen) Mainstreams übersetzt den hochkomplexen Zusammenhang zwischen dem sogenannten politischen und dem traditionellen Islam in die simple Dichotomie:

                "Islam = (an sich) gut" versus "Islamismus = böse".

Die Gefahr, einem Zusammenhang zwischen dem Islam und einer – wie immer gearteten – Problematik zu begegnen, löst bei Vertretern dieses Diskurses Unbehagen aus. Wie gut, dass es den brauchbaren Begriff "Islamismus" gibt. Man füge dem Begriff "Islam" die fünf magischen Buchstaben "ismus" hinzu – schon ist das Unbehagen beseitigt.

Das Unbehagen, aber nicht das Problem. Dieses wird im Gegenteil größer. Etwa dann, wenn wir uns den – mehr als absurden – Konsequenzen stellen, die sich aus der Etikettierung patriarchaler Strukturen in islamisch geprägten Gesellschaften als "islamistisch", und nicht etwa als islamisch, ergeben. Eine Zuschreibung, die in linken "feministischen" Debatten immer wieder begegnet. Wären nämlich patriarchale Strukturen in jenen Gesellschaften tatsächlich "islamistisch" inspiriert, und nicht etwa islamisch, dann hätte erst das moderne Phänomen des "Islamismus" islamisch geprägten Gesellschaften patriarchale Strukturen beschert. Vom "Islamismus" kann aber erst seit Beginn des 20. Jahrhunderts, frühestens seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Rede sein. Vor dem 20. Jahrhundert hätte es in islamisch geprägten Gesellschaften demnach weder patriarchale Strukturen gegeben noch patriarchale Gewalt.

Der Islam wäre, anders gesagt, bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts eine feministische Glaubenslehre mit einer feministischen Glaubenspraxis gewesen. 

Fortsetzung folgt.

Foto: AFP Photo/Nicholas Kamm

PS: Ein Wort noch zu Trump und seinem Einreiseverbot für "Muslime". Als Freiheit des Einzelnen in religiösen Dingen zählt die Religionsfreiheit für Muslime (für Anhänger anderer Religionen, für "Ungläubige") zu den Grundprinzipien demokratisch verfasster Gesellschaften. Vor Trump konnte behauptet werden, dass Muslime – denkt man etwa an die Diskriminierung von Schiiten im wahhabitischen Saudi-Arabien, der Aleviten in der Türkei oder muslimischer Derwische im Iran – in den liberalen Demokratien des Westens weit mehr Religionsfreiheit genossen als in vielen islamisch geprägten Gesellschaften. Und zwar nicht aufgrund eines Friedensschlusses zwischen dem Christentum und dem Islam, sondern aufgrund der Emanzipation der Gesellschaft von Religion. Wer die Religionsfreiheit (für Muslime oder für Anhänger einer anderen Glaubensrichtung) aufhebt – und nichts anderes bedeutet dieses Einreisedekret –, sabotiert daher die Emanzipation der Gesellschaft von Religion.

In einer Analyse der Widersprüche des Trump'schen Einreisedekrets verweist der iranische Journalist F. M. Sokhan auf den Umstand, dass ausgerechnet Saudi-Arabien, Katar und Pakistan, also die Schaltzentralen des Terrors, von dem Einreisedekret ausgenommen sind, und meint dann: "Trump behauptet, er würde muslimische Terroristen an der Einreise hindern. Das ist falsch. Trump hindert Staatsbürger von sieben Ländern mit islamischer Bevölkerungsmehrheit an der Einreise. Sollte der betroffene Inhaber des iranischen Passes Christ, Zarathustrier, Jude, Baha'i, religions- oder gottlos sein, darf er dennoch nicht in die USA reisen." (Sama Maani, 31.1.2017)

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