Es ist ein erstaunlich pragmatisches und nicht von Ideologien getragenes Paket, das Kanzler Christian Kern durchgesetzt hat – oder die ÖVP hat durchsetzen lassen. Die feiert lautstark ihren Sieg, und die SPÖ tut sich einigermaßen schwer, das "Programm für Österreich" den eigenen Funktionären anzudienen. Die rote Parteijugend rebelliert bereits – mit gutem Recht: Das neue Arbeitsprogramm der Regierung ist über weite Strecken bedenklich, wenn nicht gar grauslich.

Das Übereinkommen ist von einem scharfen Kurs gegen Flüchtlinge und andere im Land aufhältige Ausländer geprägt, es wird Rückkehrzentren geben, die Gefängnissen gleichen, die Schubhaft für ausreiseunwillige Menschen wird verlängert, die Vollverschleierung im öffentlichen Raum verboten, auch wenn das nur ganz wenige Frauen im Land betrifft, und zwar vor allem Touristinnen. Die geplanten Überwachungsmaßnahmen sind rigoros und gehören zu den schärfsten in ganz Europa. Die FPÖ hätte das nicht besser gekonnt.

Und dennoch muss man sagen: Diese harte Linie ist im Land grundsätzlich mehrheitsfähig, auch über Parteigrenzen hinweg – lässt man einmal die Grünen beiseite. Gerade auch in der SPÖ ist die Begeisterung jener, die sich für eine Willkommenskultur erwärmen konnten, deutlich abgeflacht und einer nüchternen, ernüchterten, vielleicht auch resignierenden Einstellung gewichen. Was die Stimmungslage gegenüber Flüchtlingen betrifft, herrscht ein Gefühl der Überforderung vor. Dem hält die Regierung nichts entgegen, sondern gibt dem nach. Mit Sicherheit.

Vieles mit Symbolcharakter

Dass einzelne Maßnahmen überbordend sind, dass vieles nur Symbolcharakter hat, wird für Diskussionen sorgen. Wenn Kern bei seinem Publikum punkten und dieses noch erweitern will, muss er diese Maßnahmen nicht nur mittragen und argumentieren, er muss verkaufen, was die ÖVP eingebracht und durchgesetzt hat.

Ganz nachvollziehbar ist Kerns Verhandlungsstrategie der letzten Tage nicht. Sich die ÖVP-Positionen anzueignen wird eine schwierige Übung werden – und ist nicht unbedingt die beste Ausgangsposition für einen anstehenden Wahlkampf. Und den wird es trotz aller gegenteiligen Beteuerungen früher geben als behauptet.

Richtlinien

Kern hat in den vergangenen Tagen versucht, so etwas wie eine Richtlinienkompetenz, wie es sie etwa in Deutschland für die Kanzlerin gibt, durchzusetzen: dass gilt, was er sagt und will, und das nicht nur beim roten Teil der Regierungsmannschaft. Und dass vielleicht auch sein Partner Reinhold Mitterlehner in seiner eigenen Partei wieder etwas mehr zu sagen hat. Beides wird sich ganz schwer umsetzen lassen. Dafür werden Sebastian Kurz, Wolfgang Sobotka und andere schon sorgen, sehr verlässlich.

Diese Regierung mag sich selbst nicht, und das ist auch für Außenstehende gut nachvollziehbar. Es ist schon klar, dass eine Koalition nur ein Zweckbündnis und keine Liebesheirat ist, aber die Gräben zwischen SPÖ und ÖVP sind mit der Neupositionierung nur größer, nicht kleiner geworden. Persönliche Animositäten bis hin zu handfesten Feindschaften stehen über dem gemeinsamen Programm. Kern ist nicht Herr dieser Regierung, und die Lunte am koalitionären Pulverfass ist längst entzündet worden. Auch der Kanzler selbst hat hier mit Ultimaten und Neuwahldrohung Hand angelegt. Darüber kann das neue Arbeitsübereinkommen nicht hinwegtäuschen. (Michael Völker, 31.1.2017)