Hermann Junker mit Arbeitern bei den Grabungen in Turah: Der Archäologe ließ alles Wesentliche fotografisch dokumentieren.

Foto: Kunsthistorisches Museum

Historische Aufnahme eines Gräberfunds.

Foto: Kunsthistorisches Museum

Wien – Etwa 60 Männer gruben zweieinhalb Monate lang. Der sandige Untergrund machte die Plackerei nicht leichter. Zum Glück jedoch hatten Bauarbeiten und Regenfluten Furchen im Gelände hinterlassen. Die Rinnen waren überaus nützlich, wie der Archäologe Hermann Junker erwähnt. Sie boten den Vorteil, "dass nicht leicht ein Grab der Untersuchung entgehen kann". Man musste nur den Boden systematisch abtragen. Nach und nach kam alles zum Vorschein.

"Es war Junkers erste Ausgrabung", sagt Vera Müller, ebenfalls Archäologin, mehr als hundert Jahre später. Im Oktober 1909 hatte die Kaiserliche Akademie in Wien den jungen deutschen Wissenschafter mit der Erforschung eines südlich von Kairo gefundenen Gräberfeldes beauftragt. Schon wenige Monate später begannen die Arbeiten. Junker ging nach dem damaligen Stand der Technik vor. Alles Wesentliche wurde fotografisch dokumentiert. Einen ausführlichen Bericht bekam die Akademie im Juni 1911 vorgelegt.

Die geborgenen Funde nahm man in die kaiserliche Sammlung auf. Hier lag nämlich der eigentliche Grund für das Unternehmen, wie Vera Müller erläutert. Der Kollektion fehlte ägyptisches Material, welches älter war als die Pyramiden. Diese Lücke sollte Hermann Junker füllen. Müller ist am Institut für Orientalische und Europäische Archäologie (OREA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) tätig und befasst sich ausgiebig mit Junkers Werk.

Am rechten Nilufer

Die besagte Nekropole lag in Turah, einem Ort am rechten Nilufer, gut 13 Kilometer von Gizehs berühmten Pyramiden entfernt. Dies war ein Provinzfriedhof, sagt Müller. Die Toten aus der Residenzstadt Memphis wurden weiter südlich in der Nähe von Helwan bestattet.

Dennoch blieb Turahs Gräberfeld jahrhundertelang in Gebrauch, etwa von 3100 bis 2600 vor Christus. Kairos Speckgürtel hat das Areal inzwischen geschluckt. Zu Junkers Zeit gehörte das Gelände einem deutschen Ehepaar, welches dort Landwirtschaft betrieb. Beim Ausheben eines Brunnens stieß man auf die ersten Gräber.

Die Ausbeute von Junkers Kampagne kann sich sehen lassen. Insgesamt legten der Gelehrte und sein Team 582 Gräber frei. Viele davon waren zwar längst geplündert worden, trotzdem kamen zahlreiche Tongefäße und dutzende andere Artefakte ans Licht. Die meisten Funde wurden nach Wien verschifft, wo sie bis heute in den Depots des Kunsthistorischen Museums lagern.

Funde neu untersucht und interpretiert

Vera Müller und die Ägyptologin Regina Hölzl, Direktorin der Ägyptisch-Orientalischen Sammlung im Museum, holen diesen Schatz nun aus seinem Dornröschenschlaf. Material und Aufzeichnungen sollen neu untersucht und interpretiert werden. Zwar betont Müller ausdrücklich die hohe Qualität von Hermann Junkers Dokumentation, doch die Wissenschaft habe in den vergangenen hundert Jahren enorme Fortschritte gemacht.

Die Forscherinnen hoffen, Aussagen über die Bevölkerungsstruktur und die soziale Gliederung im frühdynastischen Ägypten treffen zu können. Vieles darüber könne man an Gräbern ablesen.

Unterschiedliche Gestaltung

Die letzten Ruhestätten waren sehr unterschiedlich gestaltet. Oft legte man die Leichen in einfache Sandgruben und bedeckte sie mit einer Schilfmatte. Mitunter fanden sich auch Überreste von Körben, in denen die Verstorbenen, meistens Kinder, zusammengekauert lagen. Etwas aufwendiger gestaltete Gräber verfügten über ein Dach aus Holz, welches die Kammer vom bedeckenden Boden abschirmte.

Derartige Konstruktion traf Junker nur noch in Bruchstücken an. Bretter und Pfosten wurden meistens aus heimischen Akazien, Tamarisken oder Sykomoren angefertigt. "Das ist alles kein besonders gutes Bauholz", erklärt Vera Müller. Die Verwendung von importiertem Zedernholz war im frühdynastischen Ägypten ein königliches Privileg. Auf einem Provinzfriedhof hat so etwas natürlich nichts verloren.

Auch relativ luxuriöse Gräber

In Turah kamen allerdings auch relativ luxuriöse Gräber zutage. Sie wurden aus Ziegeln erbaut und verfügten zum Teil über mehrere Kammern – eine größere für den Toten und kleinere für Vorräte und Beigaben. Das besonders große Grab 27.w.I. hatte sogar 16 Meter lange und neuneinhalb Meter breite Außenmauern. Im Innern führte ein Gang mit Treppe zu den eigentlichen Grabkammern. Erstaunlicherweise war die Anlage leer, offenbar wurde hier nie jemand beigesetzt. Derartiges ist auch aus anderen Nekropolen bekannt, wie Müller erläutert.

Der Bau von größeren Gräbern dauerte lange, man begann schon zu Lebzeiten des späteren Verblichenen damit. Vielleicht aber verstarb der Auftraggeber auf Reisen, oder er bekam das Privileg zugesprochen, sich in der Nähe der Fürsten beerdigen zu lassen. Sein vorgesehenes Privatmausoleum blieb dann ungenutzt.

Keine Kostbarkeiten

Unter den von Junker geborgenen Beigaben sind keine echten Kostbarkeiten. Das meiste ist Keramik, und über den Inhalt der diversen Tongefäße lässt sich nur noch spekulieren. "Da haben wir leider Pech", sagt Vera Müller. Die noch intakten Vasen und Töpfe wurden geputzt.

Aus vergleichbaren Fundstätten weiß man jedoch, dass man solche Behälter oft mit Asche, womöglich aus dem Hausherd des Verstorbenen, oder mit Nilschlamm befüllte. Das symbolisierte Fruchtbarkeit und Regeneration, meint Müller. "In den ganz großen Gefäßen wurde ursprünglich Wein gelagert." Das Getränk war äußerst kostbar, vielleicht bekam manch Toter einen Vorrat davon fürs Jenseits mit.

Die Leichname selbst sind fast alle verschollen. Ihre Gebeine befanden sich beim Ausgraben in sehr schlechtem Zustand, die landwirtschaftliche Bewässerung hatte ihnen bereits zugesetzt. In Wien ist lediglich ein einziges Skelett aus Turah erhalten geblieben. Darüber sind wohl keine wesentlichen wissenschaftlichen Erkenntnisse mehr zu erwarten. (Kurt de Swaaf, 2.2.2017)