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Auf der Kappe eines Unterstützers in Nashville: Trumps Slogan "Make America Great Again" auf Russisch.

Foto: AP/Mark Humphrey

Jüngere wissen es vielleicht nicht mehr so genau. Aber vor der Amtszeit des zweiten Bush und insbesondere vor dem verhängnisvollen Einmarsch in den Irak 2003 war es – ungeachtet aller einstigen Anti-Vietnam-Proteste – lange eigentlich kaum möglich, in aller Öffentlichkeit die amerikanische Politik prinzipiell in Frage zu stellen und Klartext über ihre Schattenseiten zu sprechen. Da war man dann schon ein Linksextremist oder – etwas ganz Böses – ein "Anti-Amerikanist".

Schließlich waren die Vereinigten Staaten in den Ereignissen um 1990 als eindeutiger Sieger im Kampf der Supermächte um die Vormachtstellung in der Welt hervorgegangen, ja, die Sowjetunion war implodiert, und damit hatte sich – dem fragwürdigen, aber gebräuchlichen Axiom zufolge, dass derjenige, der gewinnt, auch recht hat – nach allgemeiner Ansicht die Richtigkeit des amerikanischen Gesellschaftssystems und der daraus resultierenden Politik erwiesen. Kritik an den USA, das passte nicht in die Stimmung dieser Jahre. Es gab sie, bei politischen Randgruppen, aber das wurde von der Öffentlichkeit nicht einmal mehr ignoriert, um es so salopp, aber treffend auszudrücken. Noch kurz vor dem Einmarsch in den Irak verteidigte Hans Rauscher im STANDARD trotz aller Skepsis immer noch die USA. Er brachte dabei ein hier in Mitteleuropa seit dem Zweiten Weltkrieg sehr wirkungsmächtiges Argument vor: Die USA haben uns von den Nazis befreit. (Ein Argument, das man seltsamerweise für die Sowjetunion nie gelten ließ.)

Das Image der USA nach dem Zweiten Weltkrieg ...

Aber auch vieles andere mag für die eigentümliche Unantastbarkeit der USA eine Rolle gespielt haben. Die Aura Amerikas umfasste niemals bloß die Politik. Gerade in den Zeiten unmittelbar nach dem Zusammenbruch des Ostblocks, als es hierzulande ans Privatisieren ging, wurde ständig davon geschwärmt, was in den USA "alles möglich" sei. Und ja, man war schon ein Außenseiter, wenn man beispielsweise die fortschreitende Deregulierung der Wirtschaft während der Clinton-Ära kritisch betrachtete. Die Finanzkrise von 2008 war schließlich noch weit weg.

Keine andere Nation auf der Welt aber hat überdies derart blendend die Selbstglorifizerung beherrscht, und da ist viel über die Narrative der Populärkultur gelaufen. Man denke nur an "Rambo", "True Lies" oder "Air Force One".

Irgendwie übertrug sich das immer auf die Wahrnehmung des realen Amerika. Ich kann mich gut daran erinnern – ich war damals noch ein Kind – wie die gesamte österreichische Bevölkerung bei der mehr als ein Jahr währenden Geiselnahme in Teheran (Ende 1979 bis Anfang 1981) via Zeitung und Fernsehen mit den gefangenen US-Bürgern zitterte. Jene Politik der USA, die diese Situation aber überhaupt erst verursacht hatte, wurde indes freilich in den heimischen Medien nicht hinterfragt.

Meinem persönlichen Eindruck nach war der Nato-Einsatz während des Kosovo-Konflikts 1999 das letzte große Unternehmen, in dem das US-Narrativ von der Weltpolizei mit rein hehren Motiven vorbehaltlos und eins zu eins von den heimischen Medien übernommen wurde. Prägnante Kritik an der militärischen Intervention und handfeste Hintergrundinformationen dazu konnte man nur in der allseits geächteten "Volksstimme" finden. Schon im vergleichsweise nahen Griechenland etwa aber wurde allgemein ganz anders als hierzulande über diese Ereignisse berichtet.

... das nun zerbricht

Was für ein Gegensatz zu der jetzigen Situation, in der man selbst die glühendsten Parteigänger der USA verfallen sieht! Bush mag viel Leid über die Welt gebracht haben, und es gibt gute Gründe, sich vor Trump zu fürchten. Aber eine großartige Sache haben sie beide für uns geleistet: Sie haben das übersteigerte märchenhafte, legendenumwobene und zumeist nur auf Lügen basierende Heiligenbild USA zertrümmert.

Wir haben uns jahrzehntelang in einem Traum befunden. Tatsächlich ist es ein Mythos, dass die USA vor Bush und Trump so viel besser waren. Wer sich ein wenig ehrlich mit der Rolle Amerikas in der Welt beschäftigt, der wird sehen, dass selbst John F. Kennedy, die Good-Guy-Ikone schlechthin unter den US-Präsidenten, in Wahrheit eine skrupellose, völkerrechtswidrige und militärisch aggressive Außenpolitik gegen alles betrieben hat, was nicht den amerikanischen Interessen entsprochen hat, dabei fast den Dritten Weltkrieg ausgelöst (die Invasion in der Schweinbucht und die letztlich dadurch und durch andere seiner Maßnahmen provozierte Kubakrise) sowie die Weichen für die Eskalation des Vietnamkriegs gestellt und in Brasilien den Sturz einer demokratisch gewählten Regierung durch einen Militärputsch vorangetrieben hat, weil diese der ökonomischen Expansion der USA Steine in den Weg gelegt hatte.
Nur hat das in Europa niemanden gestört, denn die Vereinigten Staaten waren ja unsere Freunde. Das allerdings ist jetzt mit einem Schlag auf einmal anders.

Zeit für Europa, sich vom Übervater Amerika loszulösen

Eine Normalisierung, eine Entheiligung, eine wohltuende Götzendämmerung könnte nun stattfinden, ein nüchterner Blick auf die Vereinigten Staaten könnte Einkehr halten. Die USA, oder vielmehr unsere Wahrnehmung davon, sind vom Himmel auf die Erde heruntergeholt worden. Endlich kann man über Amerika sprechen wie über jede andere Nation auch. Wie alle Kinder, die erwachsen werden wollen, müssen aber auch wir lernen, die Hand von Papa loszulassen – und selbst zu gehen ... (Ortwin Rosner, 8.2.2017)