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Rohre für den Pipelinebau: Zigtausende Kilometer Gasleitungen sind in Europa bereits vergraben. Dieses Netz sollte man auch nach vollzogener Energiewende nützen, sagen Experten.

Foto: EPA/EPA / Carsten Rehder

Wien – Die Halbwertszeit fossiler Energieträger wie Öl, Gas und Kohle ist dramatisch gesunken. Nicht weil die Vorräte rascher als gedacht zu Ende gingen – im Gegenteil. Gerade bei Öl konnten dank Frackings viele neue Reserven angezapft werden. Vielmehr sind es die Beschlüsse der Weltklimakonferenz von Paris, welche die Unterzeichnerstaaten bis etwa 2050 zum Ausstieg aus der Kohlenstoffwirtschaft verpflichten.

Entsprechend groß ist die Nervosität in der Gasindustrie. Zumindest Teile der viele Milliarden Dollar schweren Branche könnten aber dennoch Zukunft haben.

"Jetzt gibt es zwei Welten nebeneinander. Auf der einen Seite die Strom-, auf der anderen die Gaswirtschaft," sagte Christoph Riechmann, Energieexperte von Frontier Economics, einer mitarbeitergeführten Beratungsfirma mit Zweigstellen in Brüssel, Dublin, Köln, London und Madrid. "Der Gaswirtschaft blüht nach einer Übergangszeit, in der Erdgas noch als Brückentechnologie Verwendung findet, das Aus."

Diese Lücke soll nach derzeitigem Stand die Strombranche füllen. Elektrifizierung in großem Stil lautet die Losung – von Mobilität bis Raumwärme.

Grenzen des Stroms

"Nur – dieses Vorhaben stößt jetzt schon an Grenzen", so Riechmann im STANDARD-Gespräch. "Man denke nur an die heftigen Widerstände, die es gegen den Ausbau des Leitungsnetzes gibt." Das sei aber nur ein Vorgeschmack auf das, was noch blühe, wenn man die Pläne zu Ende denke.

"Würde die Voest ihre gesamte Energieversorgung auf Strom umstellen, müsste sie zu den derzeit benötigten rund 1,2 Terawattstunden (TWh) zusätzlich 33 TWh Strom pro Jahr beziehen," sagte der ehemalige Chef der Regulierungsbehörde E-Control, Walter Boltz, der jetzt als Berater unter anderem auch für Frontier Economics tätig ist. Das entspreche 50 Prozent von dem, was Österreich derzeit an Stromverbrauch hat.

Um 33 TWh zur Voest nach Linz zu bringen, müssten sechs bis acht Hochspannungsleitungen gebaut werden, die den Strom aus Regionen mit viel erneuerbarer Energie zum Stahlstandort bringen. "Selbst im optimistischsten Fall ist es kaum denkbar, dass so etwas in überschaubarer Zeit realisiert werden kann", sagte Boltz.

Daraus sei die Idee entstanden: Warum nutzen wir nicht die Gasinfrastruktur, die bereits vorhanden ist, zum Transport von Energie, auch und vor allem für überschüssigen Windstrom, den man in synthetisches Gas umwandeln könne, sagte Riechmann.

Der Charme bestehe darin, dass in Europa in den vergangenen Jahrzehnten mit Milliardenaufwand ein viele Zigtausende Kilometer umfassendes Gasleitungsnetz errichtet wurde. Trotz Verlusten bei der Umwandlung von Strom aus Windkraft oder Fotovoltaik mittels Elektrolyse in Wasserstoff und auf chemischem oder biologischem Wege weiter zu synthetischem Gas falle dies nicht so stark ins Gewicht.

Wirtschaftlichkeit

"Wenn es einen Überschuss an erneuerbarer Energie gibt, drückt das den Preis. Fallweise gibt es sogar Geld dafür, dass man den Strom in Zeiten von Angebotsspitzen abnimmt", sagte Riechmann. Dann rechnet sich das auch."

Am Bestimmungsort könne das Gas theoretisch wieder rückverwandelt werden in Strom. Besser, weil effizienter sei es aber, die bestehenden Gasthermen weiter zu betreiben. Der Gasvertrieb könne ein "grünes", weil CO2-frei hergestelltes Produkt vermarkten, und auch die Pipelinebetreiber hätten, anders als die traditionellen Gasproduzenten, eine Perspektive.

Boltz und Riechmann plädieren dafür, Gasnetzbetreiber in die Lage zu versetzen, in industriellem Maßstab mit der "Power to Gas" genannten Technologie zu experimentieren. Die strikte Trennung von Produktion, Netz und Vertrieb (Unbundling) sei dabei ein Hindernis. Das Regelwerk, das früher richtig war, sollte angepasst werden, meint Boltz. (Günther Strobl, 2.2.2017)