Bryan Stevenson: "Mir gefällt es nicht, wie Trump die Angst der Leute ausnützt."

Foto: Frank Herrmann
Foto: Frank Herrmann

STANDARD: Herr Stevenson, was passiert da gerade in den USA? Donald Trumps Einreisedekret, die heftigen Proteste dagegen, wie sehen Sie die Lage?

Stevenson: Wir erleben eine große Verunsicherung. Wir hatten noch nie einen Präsidenten, der sich so wenig für internationale Beziehungen, die Verfassung und den Rechtsstaat interessierte – und für die Aufgabe, ein derart facettenreiches Land zu regieren. Zudem scheint ihm die Optik entschlossenen Regierens wichtiger zu sein als das Resultat seines Handelns. Nun wissen wir aus der Geschichte, wenn Politiker die Angst und die Wut der Leute schüren, bekommen sie viel Unterstützung. Angst und Wut lassen dich gleichgültig gegenüber grundlegenden Menschenrechten werden. Sie erlauben dir, Ungleichheit und Ungerechtigkeit zu tolerieren. Du denkst dir, ich bin zornig, mir ist das alles egal. Mir gefällt nicht, wie die Trump die Angst der Leute ausnutzt. Ja, es gibt ein Terrorismusproblem. Ja, der Nahe Osten ist instabil. Aber das ist nicht ein Problem des Islam. Es macht ebenso wenig Sinn, alle Muslime in eine Schublade zu stecken, wie man nicht alle Amerikaner wegen der Morde in unserem Land in eine Schublade sortieren kann. Wir haben eine der höchsten Mordraten der Welt. Andere Nationen könnten sagen, diese Amerikaner sind so gefährlich, vielleicht sollten wir sie gar nicht erst einreisen lassen. Natürlich wären wir dann empört.

STANDARD: Wie weit wird Trump kommen mit seiner Politik?

Stevenson: Trump macht mir Sorge, doch wir haben starke rechtsstaatliche Strukturen. Unsere Gerichte werden in den nächsten Monaten auf eine harte Probe gestellt, wenn sie politische Vorstöße, die von Intoleranz geprägt sind, abzuwehren versuchen. Unsere Verfassung verbietet es, Menschen wegen ihrer Nationalität zu diskriminieren. Nun hatten wir gerade ein Präsidentendekret, mit dem genau das getan wurde. Kein Zweifel, es kommen bewegte Zeiten auf uns zu. Ich hoffe, es werden Zeiten sein, in denen wir darüber nachdenken, wer wir eigentlich sind. Nach meiner Erfahrung ist es vielen Leuten momentan ziemlich egal, wie jemand lebt, der arm ist oder schwarz oder keine Aufenthaltserlaubnis besitzt. Es ist dieses Desinteresse, gegen das wir ankämpfen müssen. Das hat mich bewogen, über die Sklaverei in den USA zu reden, über Lynchmorde und Rassentrennung. Nur wenn wir einen anderen Scham-Index unserer Geschichte schaffen, verhindern wir, dass wir in eine Welt abgleiten, in der man Muslime ausgrenzt und Afroamerikaner oder Mexikaner mit einem Stigma versieht.

STANDARD: Es gibt Amerikaner, die befürchten, dass sich in den USA wiederholen kann, was Anfang der 1930er-Jahre in Deutschland geschah. Kann man das überhaupt vergleichen?

Stevenson: Sicher, es gibt gewaltige Unterschiede. Deutschland war nach dem Ersten Weltkrieg eine besiegte Macht, die demokratischen Institutionen waren schwächer, als sie es heute in den USA sind. Aber Präsident Trump hat den Wählern mit Erfolg eingeredet, dass die Lage schrecklich ist, dass wir von Terroristen und Kriminellen, von Globalisierungsfreunden und den Eliten gedemütigt werden. Das hat durchaus Ähnlichkeiten mit Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg. In Amerika sind jetzt Leute an der Regierung, die nach der absoluten Macht greifen würden, wenn sie es denn könnten. Anders als vorangegangene Administrationen scheint die Regierung Trump keinerlei Problem damit zu haben, das Kontrollsystem der "checks and balances" auszuhebeln. Daher schadet es nicht, wenn wir aus den Erfahrungen Deutschlands lernen. Dass man die Institutionen demontiert, wenn man keine Kritik zulässt, keine Fehler einräumt und sich mit Jasagern umgibt, das kann man daraus lernen. Wenn du Macht ohne Kompromiss und Debatte ausübst und auch noch stolz darauf bist, dann hat es das Aroma des Totalitären. Wie leicht sich Trump damit tut, die Wahrheit zu ignorieren, das Aufstellen von Behauptungen, ohne Beweise vorzulegen, das alles macht mir große Sorge.

STANDARD: Vor acht Jahren, als mit Barack Obama der erste schwarze Präsident ins Weiße Haus einzog, feierte Amerika einen Moment idealistischer Größe. Nun hat Obamas Amerika einen Präsidenten gewählt, der im Wahlkampf nationalistischen Scheuklappen das Wort redete. Wie ist das möglich?

Stevenson: Die Wahl Obamas war zweifellos ein Meilenstein. Doch die Wahrheit ist: Obama ist ein außerordentlich talentierter Politiker, der nicht gewählt wurde, weil er Afroamerikaner ist, sondern obwohl er Afroamerikaner ist. Unsere Geschichte lehrt, wenn du eine solche Ausnahmefigur bist, dann sehen wir schon mal über deine Hautfarbe hinweg. Jackie Robinson hat die Barriere in den Baseballstadien ja nicht deshalb überwunden, weil die Besitzer der Baseballklubs etwas für die Bürgerrechte tun wollten. Sondern weil er so gut war, dass sie ihn brauchten, um zu gewinnen. Das hieß aber nicht, dass sich der Rassismus plötzlich in Nichts auflöste. Ähnlich verhält es sich mit Obama. Und wer von einem Amerika träumte, in dem die Farbe der Haut keine Rolle mehr spielen würde, merkt nun, dass das Gegenteil der Fall ist. Das Amerika rassistischer Stereotype und rassistischer Rhetorik ist plötzlich so salonfähig geworden wie seit den Sechzigerjahren nicht mehr.

STANDARD: Was sind die Gründe?

Stevenson: Es liegt daran, dass wir gescheitert sind, ehrlich über die Geburtsfehler dieser Republik zu reden. Ich vergleiche das mit einer Smogwolke, die ständig über dir hängt. Man kann nicht Millionen von Ureinwohnern in einem Völkermord töten und sagen, das war kein Völkermord, weil es sich bei den Toten um Wilde handelte. Oder mit ähnlichen Argumenten Jahrhunderte der Sklaverei rechtfertigen. Wir haben gesagt, schwarze Menschen sind anders als weiße Menschen, damit wir als Christen die Sklaverei verteidigen konnten. Die Luft, die wir heute atmen, ist noch immer so verschmutzt durch das toxische Erbe des Rassismus, dass du, sobald du 13 oder 14 Jahre alt bist, anfängst, Menschen durch die Hautfarbenbrille zu sehen.

STANDARD: Und das auf allen Seiten …

Stevenson: Ja, keiner von uns ist in dieser Hinsicht wirklich frei. Wir können uns dieser Bürde nur entledigen, wenn wir offen über die Geschichte reden und uns von den Smogwolken befreien. Es kann keine Aussöhnung ohne die Wahrheit geben. Also muss zunächst einmal die volle Wahrheit auf den Tisch. (Frank Herrmann, 3.2.2017)