Wien – Am 1. Juni 2003 war ATV eine Nummer eins: Unter dem Namen ATV plus ging der Kanal als erster bundesweiter Privatsender via Antenne on air. 14 Jahre danach wird der einstige TV-Pionier geschluckt. In dieser Zeit gab es einige Senderchefs, Eigentümerwechsel und Programmhits, maximal fünf Prozent Marktanteil in der Werbezielgruppe – und hartnäckig rote Zahlen.

Hervorgegangen aus dem regionalen Sender Wien 1, war ATV Anfang 2000 als überregionaler Kabelsender gestartet. Geschäftsführer: Tillmann Fuchs, er wurde später auf Wunsch des Team Stronach/NÖ Landesrat in Niederösterreich wurde, parteifreier, wie er betont. 2002 wurde terrestrisches Privatfernsehen zugelassen, ATV erhielt die erste Lizenz zum Antennensenden und startete 2003, unter dem neuen Namen ATV plus.

Da war Fuchs bereits von Franz Prenner abgelöst. Er gab die Devise aus, bis 2006 den Break Even zu erreichen – was allerdings bis 2017 nicht gelang. 2006 war auch das "plus" schon wieder Geschichte. Und 2007 war das auch Prenner: Ludwig Bauer nahm in der Chefetage in Wien-Leopoldstadt Platz. Er blieb bis 2013, dann übernahm Martin Gastinger, zuvor Programmchef. 2011 wurde der Zweitsender ATV2 gegründet, im Vorjahr ein Online-Spin-off namens "ATV smart".

Gesellschafterstruktur

Ein Kommen und Gehen gab es bis 2008 auch in der Gesellschafterstruktur des Unternehmens. Bei Wien 1 war die Gewerkschaftsbank Bawag an Bord und blieb dies auch, bis sie an Cerberus ging und Kloiber den Sender zur Gänze übernahm. Zwischendurch waren auch UPC und das paneuropäische Netzwerk SBS als Eigentümer eingetragen. Im Vorjahr dann kündigte der Münchner Medienunternehmer mit österreichischen Wurzeln an, den Sender loswerden zu wollen: Er wolle den Konzern vor der Übergabe an seinen Sohn von Altlasten befreien. "ATV war mein größter Fehler", beklagte Kloiber zweistellige Millionenverluste. Die Bawag legte freilich noch mehr ab. Von 1999 bis 2006 investierte die ehemalige Gewerkschaftsbank rund 125 Millionen Euro in den Sender, ohne je einen Euro Gewinn zu machen.

Der Publikumserfolg von ATV war durchwachsen. In der anvisierten Zielgruppe 14-49 Jahre startete man 2003 mit 1,2 Prozent, schaffte 2004 mehr als doppelt so viel (2,8 Prozent) erreichte 2009 die Fünf-Prozent-Marke. Seit 2012 gab es einen Abwärtstrend, im Vorjahr machte der Jahresmarktanteil gerade einmal 3,5 Prozent aus – und bei der Zielgruppe ab 12 Jahren 2,5 Prozent.

Zwischen Trash und Anspruch

Programmlich konnte ATV bei einer oft forsch anmutenden Gratwanderung zwischen Trash und Anspruch immer wieder Programmerfolge landen. "Bauer sucht Frau" ist so einer, "Die Lugners" griffen den damaligen Reality-Trend mit einem sehr spezifischen österreichischen Hautgout auf. Die Real-Life-Kompetenz kam ATV auch bei Formaten wie "Teenager werden Mütter" oder "Das Geschäft mit der Liebe" zugute. Mit anderen international inspirierten Ideen hatte man weniger Erfolg. Kaum einer wird sich etwa noch an die Gerichtsshow "Strafrichter Dr. Gustav Rothmayer" erinnern. Die millionenschwere Daily-Soap "Wien – Tag & Nacht" floppte. Dafür hatte man mit "Downton Abbey" einen internationalen Bestseller im Programm. Wettershow hat ATV schon seit 2013 keine mehr – dabei war man zum Start in diesem Segment besonders "erotisch" aufgetreten. Die Sportredaktion wurde 2016 nach der Fußball-EM aus Kostengründen aufgelöst.

Hatte Tillmann Fuchs es zum Start 2003 noch als sinnlos betrachtet, in der TV-Information gegen den "Tanker" ORF anzutreten, hat sich das ATV-Team in diesem Bereich in den vergangenen Jahren ein Standing aufgebaut. Mit dem unmoderierten TV-Duell der Bundespräsidentschaftskandidaten Alexander Van der Bellen und Norbert Hofer schuf man Fernseh-Geschichte, und "Klartext"-Moderator Martin Thür ist Promi-Journalist geworden. Die Diskussionssendung "Am Punkt" dagegen kam und ging.

Medienpolitisch ist ATV zuletzt auch leiser aufgetreten – zumindest verglichen mit den frühen Jahren, als die Pionierrolle auch noch jede Menge Auseinandersetzung mit der Großmacht ORF bedeutete. 2014 trat ATV aus dem Privatsenderverband VÖP aus. Die damalige Begründung: Im Lobbyverband würden bevorzugt die Interessen der ProSiebenSat.1-Gruppe vertreten. Dass sich eben dieser Konzern nun ATV schnappt, mutet als Ironie der jüngeren österreichischen Mediengeschichte an. (APA, 2.2.2017)