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Die SVA spart beim zusätzlichen Krankengeld für Geringverdiener: Im Nachhinein will dieses keiner in der Politik bewusst angegriffen haben.

dpa/Pilick

Wien – Kranksein hat sich für tausende Selbstständige heuer kräftig verteuert. Die Politik gibt sich empört – schuld daran will keiner sein. Betroffene Unternehmer, die sich mit einer rückwirkend geltenden Leistungskürzung von bis zu zwei Dritteln konfrontiert sehen, wenden sich bereits an Anwälte.

Die Sozialversicherung der gewerblichen Wirtschaft beklagt, wie berichtet, Verluste bei der zusätzlichen freiwilligen Krankenversicherung. Diese wird vor allem von Geringverdienern in Anspruch genommen, um Einkommensverluste im Fall einer Krankheit abzufedern; die gesetzliche Lohnfortzahlung läuft nämlich erst ab dem 43. Tag. Sie müssen nun mit acht Euro an täglichem Mindestkrankengeld auskommen. Bisher gab es ab dem vierten Tag 29 Euro. Der Versicherungsbeitrag bleibt freilich gleich.

Vor den Kulissen will sich niemand daran erinnern, dem Vorhaben zugestimmt zu haben. Beamten sei die Causa durchgerutscht, auch hochrangige Wirtschaftsvertreter wären angesichts der zügigen Umsetzung aus allen Wolken gefallen, ist aus politischen Kreisen zu hören, sind doch Start-ups und Gründer die neuen Liebkinder der Wirtschaftsförderung.

Sie sei der Versicherung beigetreten, da sie aufgrund einer Operation heuer einige Zeit lang nicht arbeiten könne, erzählt eine Wiener Unternehmerin. Mehr als zwei Tage Krankenhausaufenthalt seien nun nicht mehr drin, ihre bisherigen Beiträge könne sie in den Wind schreiben. "Ich habe einen Vertrag, warum kann dieser einseitig geändert werden?"

Alle stimmten zu

Weil diese Zusatzversicherung anders als private über das Gesetz geregelt wird, sagt SVA-Direktor Thomas Neumann. Auf dieser Basis habe die Generalversammlung der SVA die Satzung Mitte Dezember einstimmig angepasst. Vertreter der Generalversammlung sind im Übrigen Wirtschaftsfraktionen aller wahlwerbenden Parteien.

Dem gingen Anfang Dezember Beschlüsse rund ums Finanzausgleichsgesetz voran. In ein Sammelreparaturgesetz mit rund zwei Dutzend Punkten eingepackt war der Antrag, wonach die Zusatzversicherung ausgeglichen bilanzieren muss. ÖVP, SPÖ und Grüne stimmten dem Paket zu.

Judith Schwentner, Sozialsprecherin der Grünen, bezeichnet die Art und Weise, wie im Ausschuss Regeln geschaffen werden, die "eine große Bevölkerungsgruppe ohne jede Lobby vor vollendete Tatsachen stellt", als skandalös. Klare Materien gehörten vorgelegt, und das nicht "in letzter Minute zwischen Tür und Angel". Das Problem sei aber nicht die Gesetzesänderung an sich, sondern das, was die SVA daraus machte: Das sei gleichheitswidrig, sagt Schwentner. "Man kann nicht Menschen mit Einkommen von 600 Euro behandeln wie jene, die doppelt so viel verdienen." Das aktuelle Vorgehen der SVA sei die Spitze eines Eisbergs. Keiner werde zu der Zusatzversicherung gezwungen, entgegnet Neumann. "In der Vergangenheit haben von ihr Wenigverdiener aufgrund niedriger Beiträge überproportional profitiert."

"SVA ist kein Sparverein"

SP-Wirtschaftsverband-Präsident Christoph Matznetter nennt die Leistungskürzung für Selbstständige unerhört. Er will die Zustimmungen und Beschlüsse auf ihre Rechtmäßigkeit überprüfen. "Sie gehören zurückgenommen – die SVA ist ja kein Sparverein."

Diese argumentiert mit einer Gruppe von Versicherten, die das Krankengeld flächendeckend ausgenutzt hätte. Statistiken, welche Berufsfelder und wie viele Selbstständige genau die Zusatzleistung in Anspruch nehmen, blieben bisher unter Verschluss. Dass unterschwellig Personenbetreuerinnen Missbrauch unterstellt werde, bezeichnet Matznetter als "Sauerei und Menschenverachtung". Wahr sei vielmehr, dass diese Branche unter Hungerlöhnen leide. "Und ab dem Moment, da sie krank werden, stehen viele vor dem Nichts."

Unfreiwillige Selbstständigkeit

Die Einschnitte treffen österreichische Unternehmer quer durch alle Sparten, betont Sabine Jungwirth, Bundessprecherin der Grünen Wirtschaft. "Unternehmer lagern Dienstleistung aus, die Wirtschaftswelt drängt Arbeitnehmer in die Selbstständigkeit. Und können sie sich selbst nicht mehr erhalten, dann lässt man sie fallen." Ihre Zahlungen aber liefen weiter.

Dass auch Personenbetreuer als Selbstständige eingestuft wurden, ist für sie ein schlechter Scherz. "Denn sie können sich weder aussuchen, wann noch wo sie arbeiten." Es sei einst die billigste Lösung für die Politik gewesen, um das wachsende Pflegeproblem in Österreich zu lösen. "Ein langfristiger Zustand ist das nicht."

Der Vorschlag der SVA, Einpersonenunternehmen Krankengeld ab dem vierten Tag rückwirkend zu zahlen, wenn sie länger als 43 Tage das Bett hüten, greift für SPÖ und Grüne zu kurz. Matznetter: "Was, wenn einer drei Wochen krank ist? Dann bricht alles zusammen." (Verena Kainrath, 4.2.2017)