Der ÖVP-Mann Siegfried Nagl hat sich über die Jahre sattelfest in die Rolle des Stadtchefs eingelebt. Sein freundliche Art wird geschätzt, sein Machtinstinkt wurde aber schon von so manchen unterschätzt.

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Graz – Wenn Siegfried Nagl am Sonntag wieder als Erster für die Grazer ÖVP durchs Ziel geht, könnte er zum vierten Mal Bürgermeisters werden. Damit wäre der 53-Jährige der jüngste amtierende Langzeitbürgermeister einer Landeshauptstadt. Dass er Erster wird, ist das Einzige, was sich Experten über den Wahlausgang in der "Swingcity" zu sagen trauen.

Frei von Rassismus

Nagl lässt sich in keine Schublade stecken. Anfänglich fiel er mit stockkonservativen Äußerungen zu Homosexualität auf, die er revidierte. Seine Wahlkämpfe führt er seit Jahren ohne den von der FPÖ vorgelegten Rassismus, ein ÖVP-Logo sucht man meist lange. Stattdessen lobt er gerne die Multikulturalität seines "Weltstädtchens". Er ist Mitglied einer katholischen Studentenverbindung, aber betont tolerant gegenüber anderen Religionen.

Im persönlichen Umgang kann der Bürgermeister mit Authentizität punkten. Das brachte ihm gerade nach der Amokfahrt in Graz 2015 Sympathien ein. Nagl war beinah selbst Opfer des Amokfahrers geworden. Sein Umgang mit der trauernden Stadt war trotz – oder gerade wegen – der persönlichen Betroffenheit souverän. In seiner Rede bei der Trauerfeier betonte er, dass gerade Menschen, die fliehen, solche traumatischen Erlebnisse regelmäßig in ihrer Heimat erlebten.

Doch der nette, immer noch jungenhaft wirkende Stadtchef, der mit 18 Jahren Vater wurde und mit seiner Frau, die das Familienunternehmen führt, vier Kinder und vier Enkeln hat, hat auch einen ausgeprägten Machtinstinkt. Kritiker werfen ihm Klientelpolitik vor. Der Betriebswirt wechselte die Berater oft und hat innerhalb des Proporzes mit allen Parteien Kooperationen ausprobiert – und wieder beendet.

Grün, Rot, Blau, Dunkelrot

Für Aufsehen sorgte jene mit der Grünen Lisa Rücker. Später gab es ein Arbeitsübereinkommen mit SPÖ und FPÖ. Als man sich 2014 nicht auf ein Budget einigen konnte, wandte sich Nagl an die Chefin der zweitstärksten Fraktion, die KPÖ-Stadträtin Elke Kahr, die ein Budget mit ihm ausverhandelte und so Neuwahlen verhinderte. Als verantwortungsvoll lobte die ÖVP damals Kahr. 2016 war die Vizebürgermeisterin kein zweites Mal bereit, das Budget zu retten.

Der Knackpunkt: Kahr wollte eine Bürgerbefragung zum ökologisch und ökonomisch umstrittenen Murkraftwerk.

Die einzige Gegnerin

Die skandalfreie Kahr kann Nagl nicht Platz eins streitig machen, ist aber bei den Beliebtheitswerten seine einzige Gegnerin. Die ÖVP weiß das: Galt es früher als No-Go, die KPÖ, die selbst keine Mitbewerber angreift, zu attackieren, ist das nun anders. Auf ÖVP-Plakate wurde das durchgestrichene Wort "Kommunismus" gedruckt und eine ÖVP-Funktionärin verglich Kahr auf Facebook gar indirekt mit Hitler. Die Vizebürgermeisterin wundert sich: "Wie werden mir manche von der ÖVP nach der Wahl in die Augen schauen?" Der anpassungsfähige Nagl wird das sicher hinkriegen. (Colette M. Schmidt, 4.2.2017)