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Es ist eine alte Streitfrage, und sie betrifft viele Bereiche des Lebens: Kommt es nur auf den Inhalt an? Oder auch auf die Darbietung? Was die Politik angeht, ist Stefan Verra überzeugt: "Natürlich ist der Inhalt wichtig. Aber ein Politiker muss es wie jeder Mensch schaffen, Aufmerksamkeit und Neugierde zu erzeugen, bevor er Inhalte liefert. Und das geht nur mit Körpersprache." Denn: "Die Körpersprache verrät sehr viel über einen Menschen, und sie hat eine starke Wirkung auf andere." Verra, 43 Jahre alt, gebürtiger Tiroler, ist ein gefragter Experte für Körpersprache. Er lebt in München, schreibt Bücher, lehrt an der Universität in Heilbronn, coacht weltweit und vermittelt sein Wissen auch vor Publikum. DER STANDARD hat ihn gebeten, die Körpersprache einiger sehr unterschiedlicher Politiker im In- und Ausland zu analysieren.

In Österreich schaute er genau auf Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ), dessen Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) sowie den Herausforderer und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache. Verra studierte dafür unter anderem die Reden der drei im Nationalrat am vergangenen Dienstag und den Auftritt des Regierungsduos in der "ZiB 2" am Abend davor. Schließlich will man wissen: Verkörpern Kern und Mittlerlehner den Aufbruch und Neuanfang auch wirklich? Sind sie selbst davon überzeugt? Oder sagt der Körper vielleicht etwas ganz anderes?

Der Experte sagt: Bundeskanzler Christian Kern wirke bei gemeinsamen Auftritten entspannter als sein schwarzer Vize Reinhold Mitterlehner.
Foto: APA/HELMUT FOHRINGER

Kern und Mitterlehner: Dem Alphatier folgt Anstrengung

Kern spricht alle an, Mitterlehner wirkt unlocker

Der rote Kanzler und sein schwarzer Vize, diese Konstellation gibt es in Österreich mit wechselndem Personal seit Jahrzehnten, sie gehört sozusagen zum politischen Inventar der Republik. Der Kanzler führt, und der Zweite ist eben nur der Zweite – Stefan Verra, Experte für Körpersprache, findet in der aktuellen Paarung von Christian Kern (SP) und Reinhold Mittlerlehner (VP) viel Bestätigendes für diese Annahme.

Grundsätzlich hält er Kern – rein von der Erscheinung und der Ausdrucksweise her – für einen "Glücksfall" für Österreich. Er sei "kommunikativ geschickt" wie lange kein Bundeskanzler vor ihm. Und das sei auch wichtig, denn nur mit dieser Gabe könne es ein Politiker mit den Populisten aufnehmen, ohne selbst in deren extreme Sprachweise verfallen zu müssen.

"Er versteht es, mit dem Volk zu sprechen", sagt Verra. Das habe sich auch bei seinem Auftritt am vergangenen Dienstag im Nationalrat gezeigt, bei dem das neue Regierungsprogramm vorgestellt wurde. Kern vermöge frei zu sprechen, was ihn von vielen Politikern unterscheide. Denn, so Verra: "Frei zu sprechen heißt nicht, irgendwas daherzureden, sondern sehr wohl Unterlagen zu haben. Aber im Vordergrund steht das Publikum."

Im Fall von Kern im Nationalrat das Gesamte. Verra: "Er steht sehr stabil und dreht sich bei seinen Reden abwechselnd nach links und nach rechts, das hat auch Barack Obama gemacht, und es war auch schon in Wels bei seiner Grundsatzrede der Fall. Es vermittelt, dass Kern alle meint und niemanden ausschließen will."

Bei Interviews schaut Kern dem Fragensteller direkt in die Augen, oftmals sieht man auch ein kleines Lächeln, und er hebt die Augenbrauen. Die Wirkung ist positiv: "Es zeigt, dass Kommunikation erwünscht ist, dass ich mich für mein Gegenüber interessiere." Allerdings hat Verra beobachtet, dass das Kanzlerlächeln manchmal asymmetrisch ist – ein Mundwinkel oben, einer unten. Die Erklärung des Körpersprechers: "Unser Gehirn agiert einseitig, wenn es sich noch nicht vollständig entschieden hat – soll ich etwas toll finden, oder nervt es mich?"

Doch es gibt nicht nur Lob für den Kanzler. Zwar sei es ein Zeichen von Dynamik und Stärke, wenn Kern den Kopf leicht erhoben halte, doch er wirke dadurch gelegentlich auch arrogant. Verra: "Es fehlt ihm die lässige Selbstverständlichkeit des kanadischen Premiers Justin Trudeau."

Noch weiter aber von dieser ist Mitterlehner entfernt. Das Fazit über dessen Körpersprache fällt längst nicht so positiv aus. Im Gegenteil: Wenn Mitterlehner spricht, dann wirkt er sehr angestrengt, er legt auch die Stirn oft in Falten, hat Verra beobachtet. Seine Assoziation: "Wenn wir einen Gedanken noch nicht ganz erfasst haben, dann engen wir den Blick ein, in dem wir die Stirn runzeln."

Verra will Mitterlehner überhaupt nicht unterstellen, dass er sich abmühen müsse. Aber: "Es wirkt auf das Publikum nicht so souverän und locker wie bei Kern, man hat den Eindruck, der Vizekanzler muss alle seine Ressourcen nutzen."

Im Parlament sei die Grundhaltung des Vizekanzlers – nämlich mehr Richtung Boden – auffällig gewesen. Keine gute Körperhaltung für jemanden, der führen wolle: "Ein Alphatier muss dem Rudel immer vermitteln, ich habe euch alle im Blick. Das gilt übrigens auch für Firmenchefs."

Hektischere Bewegung

Mitterlehners Bewegungen seien – im Vergleich zu jenen Kerns – "hektischer und kleiner", er schaue auch viel ernster drein. Es gelte aber in der Körpersprache der Grundsatz: Je größer und raumfüllender die Bewegungen eines Menschen sind, desto dominanter wirkt er. Zeige also Mitterlehner auch mit seinem Körper, dass er der ewige Zweite ist? Für Verra ist die Antwort darauf eindeutig: "Das Alphatier ist der Bundeskanzler."

Als Oppositionsführer gut in seiner Rolle: Heinz-Christian Strache zeigt, dass er so wütend ist wie seine Fans – und ein wenig größer.
APA/Scheriau

Heinz-Christian Strache: Aggressiver Angreifer auf der Oppositionsbank

Strache gibt den Wütenden, man merkt aber Anspannung

Bundeskanzler möchte FP-Chef Heinz-Christian Strache gerne werden. Immerhin attestiert ihm Stefan Verra schon eine Gemeinsamkeit mit dem amtierenden Regierungschef Christian Kern: "Wie Kern hat Strache es verstanden, dass man Menschen auf ihrer emotionalen Ebene erreichen muss."

Strache sei "unglaublich gut darin, wütend zu sein" und sich damit auf die gleiche Ebene all jener zu stellen, die mit den herrschenden Zuständen unzufrieden sind. "Er haut auf den Tisch, seine Mimik ist aggressiv, er spricht mit vorwurfsvoller Stimme, gibt sich also genauso "ang'fressen" wie die Leute am Stammtisch, die Angst um ihren Job oder vor Fremden haben."

Strache im Parlament
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Verras Beobachtung: "Strache macht extrem scharfe Handkantenschläge. Wenn er spricht, neigt er den Körper in fast schon aggressiver Weise nach vorne." Das wirke natürlich sehr angriffig, ganz so, wie es sich für einen Oppositionsführer gehört. Der Chef der Blauen verleihe seinen Worten zudem "starken Nachdruck", indem er auch mit dem ganzen Körper im Rhythmus wippt. Es gibt bei Strache auch einen Aufbau der Rede: gegen Ende hin immer lauter und aggressiver, "extrem hart und zackig". Bei Wahlkampfauftritten werfe Strache gerne die Arme in die Höhe. Wer dies tue, wolle sich größer machen.

Naturtalent Jörg Haider

Nach Verras Ansicht hat Strache seine Oppositionsrolle recht gut drauf. Aber er sei oft sehr angespannt und stereotyp. "Er ist kein solches Naturtalent, wie Jörg Haider eines war, dafür ist er zu wenig elegant, zu wenig smooth." Strache fehle "die Souveränität eines Alphatieres", meint Verra und findet: "In der Opposition macht er sich prima, doch ich bezweifle, dass er so wandlungsfähig ist, um auch einen Verantwortungsträger überzeugend rüberzubringen."

Einprägsam findet Verra Straches häufiges Blinzeln, welches er so in die Körpersprache übersetzt: "Die Augen sind unser stärkster Kanal zur Aufnahme. Wenn man etwas nicht wahrhaben will oder sich mit Gegenargumenten nicht beschäftigen will, dann kommt es schnell vor, dass man die Augen schließt oder blinzelt."

Bei SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz sieht der Experte noch Potenzial. Immerhin sei Schulz nicht so zurückhaltend wie Merkel.
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Martin Schulz: Noch etwas gehemmt auf der Berliner Bühne

SPD-Kandidat muss sich erst ans Publikum gewöhnen

Martin Schulz ist der Newcomer unter den Politikern. Er ist zwar schon länger in der Politik als Christian Kern und erst recht länger als Donald Trump. Doch Schulz war in den vergangenen Jahren in Brüssel. Wenn er mal bei der SPD in Nordrhein-Westfalen oder in Berlin auftauchte, dann stand er nicht unbedingt in der ersten Reihe.

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Soll die SPD retten: Martin Schulz.
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Dorthin hat ihn der (Noch-) SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel katapultiert, als er Schulz quasi im Alleingang die Kanzlerkandidatur für die Bundestagswahl am 24. September und zugleich auch den SPD-Vorsitz überließ. Jetzt muss Schulz zeigen, ob er – der begeisterte und leidenschaftliche Europäer – auch deutsche Innenpolitik kann. Und ob es ihm gelingt, sie den Wählern zu vermitteln.

Gewohnt ans EU-Parlament

Zwar gilt Schulz im Vergleich zu Angela Merkel, die seit 2005 Kanzlerin ist, nun als das frischere Gesicht in Berlin. Doch "großes Talent in Sachen Körpersprache" wird ihm von Stefan Verra nicht beschieden. Er befindet, man merke seiner Körpersprache Schulz' politische Sozialisierung deutlich an: "Er redet wie einer, der es gewohnt ist, zu Abgeordneten zu sprechen, die ohnehin oft nicht zuhören, aber nicht zu Bürgern."

Verra hat sich die erste große Rede von Schulz in der SPD-Zentrale angesehen und macht seine Einschätzung an zwei Beispielen deutlich. Zunächst am Applaus, den es bei dieser Gelegenheit natürlich reichlich gab. Schulz wartet den Beifall nicht ab, sondern spricht weiter. "Er kann mit dieser Unterbrechung offensichtlich nicht umgehen", meint Verra.

Rede von Martin Schulz am 29.1.2017.
SPD

Schulz bezieht auch seine Unterlagen sehr stark mit ein. Verra: "Das mag im EU-Parlament gehen, aber jetzt gilt: Die Menschen sind wichtiger als die Zettel." Doch Verra verteilt auch einen Pluspunkt: "Schulz arbeitet viel mit den Augenbrauen. Damit kann er gut zeigen, dass er sein Gegenüber wahrgenommen hat."

Experten-Fazit für den Neuling auf der Berliner Bühne: "Er wirkt noch unsicher, was auch verständlich ist. Schulz sollte sich trauen, seine Körpersprache weniger zu hemmen. Das würde das Duell mit Merkel auch auf dieser Ebene spannender machen."

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Selbst in Gesellschaft, die ihr angenehm ist, bleibt Merkels Körpersprache eher zurückhaltend. Zum Markenzeichen wurde die Raute.
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Merkel-Raute als Stabilitätsanker für Deutschland

Auftreten der Kanzlerin offenbart keinen Elan

Körpersprache und Angela Merkel – da denkt man natürlich zunächst an ihre berühmte Raute, die auch den entsprechenden Namen hat: "Merkel-Raute". Wenn sie steht, führt die deutsche Regierungschefin gerne die Hände vor ihrem Bauch so zusammen, dass sich die Fingerspitzen berühren, Daumen und Zeigefinger eine Raute formen.

Im Bundestagswahlkampf 2013 plakatierte die CDU die Merkel-Raute sogar auf einem 70 mal 20 Meter großen Riesenplakat im Berliner Regierungsviertel. Sie stand damals für Zuverlässigkeit, Besonnenheit und einen ruhigen Kurs. "In der Raute liegt die Kraft" titelte die Welt kurz vor der Wahl.

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Angela Merkel im Deutschen Bundestag.
REUTERS/Fabrizio Bensch

"Das Volk sucht sich das Alphatier, das die eigene Befindlichkeit am besten darstellt. Zu dieser Zeit steckte Europa in der Krise, und man wollte Stabilität", sagt Verra. Er sieht in der Merkel-Raute noch mehr: "Die Kanzlerin presst die Fingerspitzen nicht aneinander, sie schafft es auch in heftigen Stresssituationen, dass sich die Finger nur sanft berühren." Viele andere wären, wenn tausende Augen auf sie gerichtet wären, nervös und würden eher die Finger verknoten. Verra: "Das deutet auf einen niedrigen Cortisolspiegel hin, Merkel bleibt sehr ruhig."

Kein Kommunikationstalent

Für Verra ist aber auch die Raute ein Zeichen einer gewissen Dynamik. Man möge sich an die Merkel von vor 30 Jahren erinnern. Damals schien alles zu hängen: Mundwinkel, Arme, Haare. "Merkel ist von Natur aus kein Kommunikationstalent. Ihr Charisma speist sich vor allem aus ihrer hohen Position", so der Experte. Aber sie habe erkannt, dass sie etwas mehr Dynamik zeigen müsse.

Merkel könne mit ihrer reduzierten Körpersprache Menschen kaum begeistern. "Yes we can", hat Ex-US-Präsident Barack Obama erklärt, der Spruch ging als Signal des Aufbruchs in die Geschichte ein. Merkel, so Verra, habe mit ihrem "Wir schaffen das" eigentlich das Gleiche verkündet. Die Euphorie blieb aus.

Dass die ruhige Raute nun im Wahlkampf 2017 wieder so gut ankommt, bezweifelt Verra. Die Zeiten ändern sich, jetzt herrscht viel mehr Unruhe. Vielleicht müsse Merkel den Populisten mehr Körperkraft entgegenstellen.

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Der neue US-Präsident Donald Trump verhehlt nicht, wenn er mit irgendetwas ganz und gar nicht einverstanden ist.
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Donald Trump: Narziss und Schmollmund im Weißen Haus

Trump zeigt mit ganzem Körpereinsatz seinen Zorn

Einen Präsidenten wie Donald Trump – da sind sich Politiker wie politische Beobachter einig – hat es in der Geschichte der USA noch nicht gegeben. Er schert sich um keine Regeln, keine Etikette und macht Politik, wie es ihm gerade in den Sinn kommt.

Auch Trumps Körpersprache sei ziemlich einzigartig, sagt Verra. Egal, was man vom 45. Präsidenten der USA hält, er ist einfach ein "Hingucker" , weil er so anders ist und durchaus, wie der Experte erklärt, nicht nur grobschlächtig. Eigentlich sei das ja "erfrischend", und es habe auch im Wahlkampf viele Menschen angesprochen, die die perfekte Inszenierung von Hillary Clinton mit exakt sitzender Frisur und ebensolchem Kostüm abgestoßen habe.

Wie ein kleines Kind

"Auffällig ist, dass Trump oft einen Schmollmund macht", sagt Verra. Das kennen Eltern, wenn sie dem Nachwuchs erklären, dass vor dem Fernsehen das Zimmer aufgeräumt werden müsse. Der Schmollmund signalisiert: "Ich bin nicht einverstanden." Das demonstriert auch Trump auf diese Weise. Für seine Anhänger ist es ein Zeichen nach dem Motto: Er ist genauso unzufrieden wie wir.

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Das bekommen sie auch zu sehen, wenn Trump die Fäuste ballt und sich damit auch als Präsident so benimmt wie die zornigen weißen Männer, die ihn aus Frust gewählt haben. Auffällig findet Verra auch, dass Trump häufig seinen Unterkiefer nach vorne schiebt und seine Zähne zeigt, was durchaus brutal aussieht. "Evolutionsbiologisch steht ein starker Unterkiefer für einen höheren Testosteronspiegel und verleiht ein kräftiges Erscheinungsbild", sagt Verra.

Bei der Inauguration fiel Verra auf, dass es Trump schwerfällt, jemandem zuzuhören. Er sei es eben gewohnt, dass andere auf ihn hören. Er hat bei Trump aber auch eine "fast feminine Gestik" entdeckt: "Seine Ellenbogen liegen sehr eng am Rumpf an." Zudem seien seine Handkantenschläge so weich, dass er damit "nicht einmal eine Topfentorte teilen könnte". Für Verra zeigt sich in diesen Bewegungen: "Da ist einer am Werk, der kraftvoll wirken will, aber im Endeffekt andere für sich die Arbeit machen lässt." (Birgit Baumann, 7.2.2017)