Nach den zahlreichen Anschlägen des vergangenen Jahres ist die Polizei in der Türkei in dauernder Alarmbereitschaft.

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Ankara/Athen – Bei einer der größten Razzien gegen angebliche Mitglieder und Helfer der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) in der Türkei hat die Polizei am Sonntag und in der Nacht auf Montag 763 Personen festgenommen. Das meldeten türkische Nachrichtenagenturen Montagvormittag unter Berufung auf die Polizeiführung in Ankara. Bei der landesweiten Operation wurden demnach allein in Sanliurfa 150 Verdächtige in Gewahrsam genommen. Ähnlich wie die eine Autostunde entfernt gelegene Großstadt Gaziantep gilt Sanliurfa der Nähe zur syrischen Grenze wegen als Rückzugs- und Operationsort des IS und anderer islamistischer Extremisten, die in Syrien kämpfen. In beiden Städten lebt mittlerweile auch eine große Anzahl von Flüchtlingen.

Informationen des Raina-Attentäters

Was der Auslöser für die Razzia war, stand nicht fest. Spekuliert wurde über Informationen, die der gefasste Attentäter des Istanbuler Nachtklubs Reina bei Vernehmungen weitergegeben hätte. Dieser Tage veröffentlichte der IS auch eine weitere Ausgabe seines Propagandamagazins "Rumiyah" in den sozialen Medien. Dieses enthält diesmal eine Todesliste religiöser türkischer Führer und Publizisten, darunter Mehmet Görmez, der Chef der staatlichen Religionsbehörde Diyanet, und der Salafistenprediger Abdullah Yolcu in Istanbul; er hatte im September vergangenen Jahres auch den Einmarsch der türkischen Armee in Syrien gutgeheißen.

Neu sind die angeblichen Todesdrohungen gegen türkische Islamisten allerdings nicht. Auf Aufmerksamkeit bedachte Sektenführer wie Cübbeli Ahmet Hoca, der zuletzt Schachspielen als unislamisch erklärt hatte und dessen Name ebenfalls auf der Todesliste steht, gaben schon 2014 an, sie würden vom IS bedroht.

Prozess gegen Hintermänner des Anschlags vom Oktober 2015

Vor einem Strafgericht in Ankara wurde am Montag auch der Prozess gegen mutmaßliche Hintermänner des Terroranschlags vom Oktober 2015 vor dem Bahnhof der Hauptstadt fortgesetzt. Bei dem bisher schwersten Anschlag in der Geschichte der türkischen Republik waren unmittelbar vor den Parlamentswahlen offiziell 101 Menschen ums Leben gekommen. Die zwei Selbstmordattentäter sollen dem IS angehört haben. Am Montag ordnete das Gericht die Verhaftung der Ehefrau eines der Attentäter an.

Freigelassen wurde am vergangenen Wochenende der renommierte kurdische Politiker Ahmet Türk. Der 74-Jährige war zwei Monate in Untersuchungshaft gehalten worden, was selbst im Regierungslager mit Unbehagen verfolgt wurde. Wie dutzende andere Bürgermeister der prokurdischen Minderheitenpartei HDP war Türk zugleich seines Amtes enthoben worden. In seiner Stadt Mardin führt nun ebenso wie in Diyarbakir ein von der Regierung eingesetzter Verwalter die Geschäfte.

Staatsunternehmen in Fonds

Erheblichen Wirbel hat am Montag in Politik und Wirtschaft in der Türkei der Beschluss der Regierung ausgelöst, die Staatsanteile einer Reihe von Schlüsselunternehmen des Landes in einen Sonderfonds zu überführen. Dabei geht es um Turkish Airlines, Türk Telekom, die Halkbank, Ziraat-Bank, den Pipelinebetreiber Botas, die türkische Post PTT, Türksat, den Teeproduzenten Çaykur und das Bergbauunternehmen Eti Maden. Der Wert der Anteile soll sich insgesamt auf umgerechnet rund acht Milliarden Euro belaufen.

Die Regierung will mit dem erst im August vergangenen Jahres nach dem vereitelten Putsch gegründeten Fonds Infrastrukturprojekte im Land finanzieren und dabei – mit den Unternehmen als Absicherung – Kredite billiger aufnehmen. Allerdings soll der Fonds keiner Rechnungsprüfung unterliegen. Dem Aufsichtsrat gehört Yigit Bulut an, der Wirtschaftsberater von Präsident Recep Tayyip Erdoğan. (Markus Bernath, 7.2.2017)