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Wird das christliche Kreuz als heimatlich-kulturelles Symbol interpretiert, wird es theologisch banalisiert.

Foto: AP/Timm Schmberger

Ende Oktober 2016 verkündete Reinhold Lopatka, der Klubobmann der ÖVP im Nationalrat: "Das Kreuz gehört ins Klassenzimmer. (...) Wir müssen zu unseren Werten stehen. Dazu gehört das Symbol des Kreuzes, das auch ein kulturelles und nicht nur ein religiöses Symbol ist." Ende November 2016 erklärte Lopatka, der neben Rechtswissenschaften auch Theologie studiert hat, dass er bei der Bundespräsidentenwahl am 4. Dezember Norbert Hofer wählen werde: "Hofer ist für mich der bessere Kandidat."

Der Klubobmann einer angeblich christlich-sozialen Partei unterstützte den Kandidaten einer tatsächlich rechtspopulistischen Partei. Hofer freute sich zweifellos über die Hilfe Lopatkas, erflehte aber zusätzlich übernatürliche Unterstützung: "So wahr mir Gott helfe", lautete sein meistbeachteter Kampagnenslogan.

Vorstellungen von Gott sind, wie es der Harvard-Theologe Gordon Kaufmann ausdrückte, "imaginative menschliche Konstruktionen". Gottesbilder sind in einem bestimmten kulturellen und linguistischen Kontext entstanden und werden über Generationen weitergegeben. Einer dieser Konstruktionen zufolge impliziert Gottes Allmacht, dass er manipulativ in Präsidentenwahlen eingreift.

Unterlassene Hilfe

Stellen wir uns vor, es wäre am 4. Dezember 2016 wirklich so gewesen. Und stellen wir uns weiters vor, dieser Gott wäre nicht durch seine unterlassene Hilfeleistung gegenüber Ingenieur Norbert Gerwald Hofer aufgefallen, sondern hätte Hofer zum Bundespräsidenten gekürt. Dann würde demnächst in den meisten österreichischen Klassenzimmern an vorderster Front auf der einen Seite das Bild Norbert Hofers hängen, auf der anderen Seite das Kreuz als religiöses und kulturelles Symbol für die Werte des christlichen Abendlandes.

Jesus und Norbert

Jesus Christus und Norbert Hofer, Thron und Altar wären innig und fest miteinander verbunden. Sie stünden zudem unter militärischem Schutz.

Vom Beginn des 4. Jahrhunderts an wurde das Kreuz als siegbringendes militärisches Schlachtzeichen instrumentalisiert: "In hoc signo vinces" ("In diesem Zeichen wirst du siegen") stand der Legende nach auf dem Kreuz, das dem römischen Kaiser Konstantin vor der entscheidenden Schlacht gegen seinen unterlegenen Widersacher Maxentius erschien. Der Anfang war gemacht für eine historisch enge Verbindung von geistlicher, weltlicher und militärischer Macht, für die ordnungssichernde "Trinität Staat-Armee-Kirche", wie es Heinrich Böll formulierte.

Zurück ins Klassenzimmer. Staat und Religionsgemeinschaften (Plural!) sollen gemeinsam zu einer gelungenen Sozialisation junger Menschen beitragen. Ob es dafür notwendig ist, in allen Klassenräumen, in denen die Mehrzahl der Schüler einem christlichen Religionsbekenntnis angehört, ein Kreuz anzubringen, wie es der sogenannte Schulvertrag vom 9. Juli 1962 zwischen dem Heiligen Stuhl und der Republik Österreich vorsieht, ist jedoch umstritten. Viele werden dadurch eher an Zeiten einer unheilvoll engen Allianz von Thron und Altar erinnert.

Bereits in der Schule wird Jesus Christus, der Stifter konstruktiver Unruhe, so zu einem behördlich eingesetzten Beschwichtigungshofrat. Der Jesus der Evangelien hielt den Mächtigen seiner Zeit vor, den Menschen unnötig schwere Lasten aufzuerlegen (Mt 23, 4): eine Aussage, die allen Lehrerinnen und Lehrern zu denken geben sollte.

Der Hofrat Jesus der Schulbehörden dagegen ist vor allem an guten Manieren, hervorragenden Noten und karriereorientiertem Durchsetzungsvermögen interessiert.

Wird das christliche Kreuz als heimatlich-kulturelles Symbol interpretiert, wird es theologisch banalisiert. Wird das Kreuz jedoch theologisch interpretiert, besteht die Tendenz, es im vorliegenden Kontext als öffentliches Symbol zur Legitimierung des Status quo zu verstehen. Das Christentum wird zu einer bürgerlichen Religion, der es primär um unhinterfragte Konformität und stillschweigende Einordnung in bestehende hierarchische Gesellschaftsstrukturen geht.

Keine rebellische Dimension

Die christliche Religion wird ihrer rebellisch-kritischen und egalitär-befreienden Dimension beraubt. Es entsteht ein Christentum, das gregorianisch singt, ohne für die Juden zu schreien (Dietrich Bonhoeffer), und in dem bunte Kirchenfenster den klaren Blick auf Notleidende und Ausgegrenzte trüben.

Vor kurzem schrieb Ludwig Ring-Eifel, Chefredakteur der Katholischen Nachrichtenagentur Deutschlands, es sei die zentrale Aufgabe der Religionen, "ihren Beitrag dazu zu leisten, dass sie brave Staatsbürger heranziehen."

Vor dem Hintergrund gegenwärtiger Integrationsprobleme von nach Europa geflüchteten Menschen mag diese Aussage verständlich sein. Dennoch erstaunt es, dass Ring-Eifel die Formulierung "brave Staatsbürger" gewählt hat. Er hätte auch von "mündigen" oder "verantwortungsvollen" Staatsbürgern sprechen können.

Für die Obrigkeit

Obrigkeitsstaatliches Denken ist offensichtlich unter Katholiken, auch deutschen, nach wie vor weitverbreitet. Dass das Kreuz im Klassenzimmer zur Korrektur dieser Haltung beiträgt, ist zu bezweifeln. Eher trifft das Gegenteil zu. (Kurt Remele, 6.2.2017)