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Santiago Carbó Valverde: "Ich denke, fürs Erste wird die Banco Popular versuchen, ihre Eigenständigkeit zu bewahren."

Foto: REUTERS/Andrea Comas

Hypothekenkredite werden in Spanien nach wegweisenden Gerichtsurteilen für Kunden auf jeden Fall empfindlich teurer werden, sagt der spanische Ökonom Santiago Carbó Valverde. Investoren in die toxischen Altlasten der Immobilienblase spekulieren indes auf mittelfristige Gewinne, die "binnen zwei bis drei Jahren" erzielbar wären. Eine Erhöhung des Leitzinses schließt Carbó für 2017 aus.

STANDARD: Wie erachten Sie den Status quo des spanischen Banksystems knapp fünf Jahre nach dem Rekordrettungsreigen?

Carbó: Die Umstände haben sich verbessert. Es gab von 2009 bis 2012 ein enormes Vertrauensproblem, das extrem heftig war. Eines, das sehr eng an einzelne Institute und Sparkassen gekoppelt war. Es war wohlgemerkt nicht allein ein Vertrauensproblem. Es gab auch reale Probleme: einen großen Sanierungsbedarf und fehlendes Kapital für die Massen an ausfallsgefährdeten Krediten. Die Transparenzoffensive, die die Banken – nicht allein die spanischen, wohlgemerkt – starteten, war damals längst überfällig. Das europäische Rettungsprogramm ab 2013 und der nun einsetzende wirtschaftliche Aufschwung haben dem Finanzsystem natürlich sehr geholfen. Vor fünf Jahren war die Lage katastrophal. Sie hat sich stark verbessert. Die Situation bleibt aber weiterhin hochkomplex.

STANDARD: Zuletzt kauften Investmentbanken wie Goldman Sachs, aber auch andere Hedge- und Investmentfonds, verstärkt Portfolios toxischer Kredite seitens der Bad Bank Sareb in Spanien auf …

Carbó: … der Appetit auf Sareb-Bestände ist seit Jahren vorhanden, und vor allem Goldman Sachs kauft sich sehr stark im Bereich jener Portfolios ein. Spaniens hochriskante Kreditportfolios liegen als Investment im Trend. Dahinter steht in erster Linie die Aufwärtsbewegung am spanischen Wohnungsmarkt – wohlgemerkt kein Preisanstieg, der Dimensionen wie vor dem Platzen der Immobilienblase annehmen wird. Sehr wohl aber ist es eine spürbare Verbesserung der Situation. Und natürlich die hohen Rabatte, die auf derartige Kreditpakete gewährt werden. Sprich: Investoren gehen davon aus, mittelfristig daraus Gewinn zu schlagen. Es hängt natürlich von jedem einzelnen der Aktiva ab. Doch nehmen wir ein Immobilienprojekt, das mehr oder weniger in guter Lage umgesetzt worden ist und zu hohen Abschlägen veräußert wurde. Hier kann man in zwei bis drei Jahren mit Gewinn rechnen. Darauf spekulieren die Investoren.

STANDARD: Wie wird sich das jüngste EuGH-Urteil mit Milliarden Euro schweren Rückzahlungen an spanische Hypothekenkreditkunden auf das Vertrauen in den Sektor auswirken?

Carbó: Es ist ein herber Schlag. Wir müssen zuwarten, was passieren wird und wie diese Rückzahlungen schlussendlich abgewickelt werden. Es ist anzustreben, private Übereinkünfte mit den Kunden zu treffen. Und man muss sehen, wie weit jene reichen werden. In jedem Falle wäre dies besser für die Banken als der Klageweg über die Gerichte. Das gilt im besonderen Maße für all jene Kreditinstitute, die sich enorm an der illegalen "Bodenklausel" bereichert haben. Jene werden hohe Provisionssummen zu decken haben. Je nachdem, wie man die Causa schlussendlich regelt, wird es eine ruhige oder eben weit weniger ruhige Phase werden. Wenn es strafrechtlich verhandelt werden muss, wird es problematisch. Wenn aber die Regierung aktiv wird und einen Rahmen setzt, damit es in geordneten Bahnen verläuft – wofür eben ein Pakt zwischen Konservativen (Anm.: Partido Popular) und Sozialisten geschlossen wurde –, dann wird es logischerweise für alle Beteiligten um Ecken einfacher.

STANDARD: Es ist das einzige Verfahren, in das spanische Banken wegen ihrer Hypothekenkredite verwickelt sind …

Carbó: … es gibt eine Fülle an weiteren: Sei es zu Ausstiegsgebühren aus Kreditverträgen, zur Verrechnung der Notariatskosten, Eröffnungsgebühren für Wohnungskäufer über Eigenheimfinanzierungen u. a. Oder was geschieht mit den Kosten, die die Banken beim Eröffnen eines Hypothekenvertrags tragen? Das ist eines von vielen Details, die es aber zu klären gilt.

STANDARD: Was erwartet Kreditnehmer in Zukunft?

Carbó: Hier ist Obacht geboten. Denn sollten schlussendlich die Banken all jene Kosten tragen müssen – die "Bodenklausel"-Causa ausgeklammert –, dann werden neu geschlossene Hypothekenkredite für Kunden empfindlich teurer werden. Das steht ohnehin bereits fest. Hypothekenkredite müssen für die Banken rentabel sein, sonst machen sie keinen Sinn. Das geht entweder über den Zinssatz oder eben über die Gebühren.

STANDARD: Der Schutz der Konsumentenrechte hat nun endlich auch Bankkunden erreicht.

Carbó: Ebendieser Schutz befindet sich zurzeit in einer wichtigen Phase der Regulierung in der Finanzbranche. In ganz Europa und eben auch in Spanien. Bessere Garantien zur Information über Bankgeschäfte und Verträge, der Schutz der Wahrung der Kundenrechte etc. Die kommenden Monate werden hier essenziell sein, wichtige Weichenstellungen werden getroffen. Die Konsumentenrechte werden uns im Bankwesen die kommenden Jahre sehr stark fordern und beschäftigen – in ganz Europa. Denn bis zuletzt war das Kapital die Basis. In Zukunft werden es die Kunden sein.

STANDARD: Wie erachten Sie die Situation und die Zukunft der maroden Banco Popular, um die es zuletzt heftige Debatten gab?

Carbó: Die Banco Popular war stets eine sehr angesehene Bank in Spanien, ihre Marke genießt einen guten Ruf, auch dank ihrer Kunden und ihrer langen Geschichte. Ich denke, fürs Erste wird die Banco Popular versuchen, ihre Eigenständigkeit zu bewahren. Darum hat man nun auch mit Emilio Saracho einen sehr renommierten Bankier an die Spitze berufen. Und im Bankwesen darf man nicht vergessen, welchen Wert der Markenname hat. Bei all den Problemen, die die Banco Popular betreffen, ist das immer noch wichtig. Es gibt einem zumindest eines: nämlich Zeit. Sollte man es jedoch nicht schaffen, in einem mehr oder weniger kurzen Zeitraum die Probleme zu lösen, wird eine Übernahme oder ein Einstieg eines internationalen Investors nicht abzuwenden sein. Mein Bauchgefühl sagt mir, dass die Banco Popular bestehen bleiben wird. Auch wegen ihrer treuen Kunden und ihres Netzwerks in der Finanzwirtschaft. Mir ist auch nicht klar, mit welcher Absicht die UBS jene Analyse erarbeitete – womöglich zielt man selbst darauf ab, internationale Investments zu tätigen. Eine Integration in die Bankia sehe ich ebenso wenig am Horizont. Es braucht eine Kapitalerhöhung, die aber in ihrem Volumen nicht als unmöglich erscheint. Scheitert man dabei, sieht die Geschichte schon ganz anders aus. Aber ich bin überzeugt, dass die Banco Popular zumindest eine Zeitlang kämpfen wird, um ihre Unabhängigkeit zu wahren.

STANDARD: Eine schier unendliche Geschichte in Spanien ist auch die angestrebte Lösung für die Banco Mare Nostrum, BMN …

Carbó: … das läuft bereits fast zwei Jahre. Doch hier ist auch eine Entscheidung aus Brüssel fällig, nämlich: Wie geht man mit den verstaatlichten Banken um? Die EU-Kommission forderte einst für Spanien eine "starke Regierung" ein. Die haben wir gehabt, und die haben wir. Doch in anderen Bereichen fehlt es an Weichenstellungen und Rahmenbedingungen. Auch wann und wie man das Geld der Bankenrettungen retour bekommt: All das muss geklärt werden. Und mir ist unklar, was Brüssel hier aktuell zu bewirken gedenkt. In Sachen BMN ist die Fusion mit der Bankia, wie sie auf dem Tisch liegt, eine Variante. Wichtig ist es hierbei, die Kunden weiter zu bedienen – und zwar in der Region, wo die BMN stark ist, nämlich, wie der Name sagt, am Mittelmeer. Die Dienstleistungen müssen auch unter anderer Dachmarke gewährleistet sein. Der Vorteil einer Integration in eine starke Dachmarke liegt auf der Hand: in erster Linie die Erhöhung der finanziellen Schlagkraft. Doch darf man nicht den lokalen Wert der kleineren Player vergessen, beispielsweise ihre regionale Vernetzung und das Vertrauen der Bevölkerung. Natürlich wird eine Großbank kaum eine Niederlassung in einem Dorf eröffnen.

STANDARD: Wie hoch erachten Sie die Wahrscheinlichkeit einer Anhebung des Leitzinses seitens der EZB heuer? Und die JP-Morgan-Prognose, dass aus ebenjenem Spaniens Banksektor "am meisten Profit schlagen werde"?

Carbó: Die Wahrscheinlichkeit, dass der Leitzins heuer angehoben wird, ist meiner Meinung nach sehr gering. Ich denke, heuer wird eine solche noch nicht kommen. Eine Anhebung würde natürlich den finanziellen Spielraum, den Banken haben, deutlich heben, ebenso wie deren Gewinnmargen. Auch die Sparer würden endlich davon profitieren. Zudem hängen daran die Staatschulden und deren Finanzierung. Ob die spanischen Banken davon am meisten profitieren würden, kann ich nicht sagen. Aber sicher, für die Banken weltweit wäre es ein positiver Schritt.

STANDARD: Der spanische Nationalgerichtshof hat kürzlich erstmals fünf Ex-Bankiers der Novacaixagalicia zu Haftstrafen und millionenschweren Geldstrafen verurteilt. Ist das erst der Anfang?

Carbó: In juristischen Themen bin ich nicht sehr versiert. Sicher ist, dass eine Fülle an Verfahren offen ist – und die spanische Justiz hier mit aller Effizienz das Recht durchsetzen wird. (Jan Marot, 7.2.2017)