Justin Leone schwärmt für alte Weine, ausgefallene Kleidung und Punkrock.

Foto: Nespresso

Tweed-Anzug, bunte Krawatte und Stecktuch. Justin Leone fällt auf – nicht nur optisch. Der gebürtige Kanadier, der eigentlich Profimusiker werden wollte, ist Chef-Sommelier im Münchner Sterne-Restaurant Tantris. Sein Stil ist eigenwillig, von Normen hält er wenig. Die Weinwelt scheint für ihn wie ein großes Musikfestival zu sein. Und genau das dürfte ankommen. Er sitzt bereits zum zweiten Mal in der Jury der TV-Casting-Show "MasterChef" (Sky), und Ende des Jahres will er sein eigenes Restaurant eröffnen, in dem es – nicht verwunderlich – laute Rockmusik spielen und tolle Weine geben soll. Wir haben ihn in Wien zur Präsentation der neuen Limited Edition "Selection Vintage 2014" von Nespresso getroffen, bei der Leone Vergleiche zwischen Jahrgangskaffee und fast 130 Jahre altem Portwein anstellt.

STANDARD: Sie haben einmal gesagt, ein Wein kann wie ein Rocksong kreischen. Wie kommt man auf so eine Art der Weinbeschreibung?

Justin Leone: Wenn einem Wein am Herzen liegt, dann drückt man seine Gefühle so aus, wie man sie empfindet. Wie man das für sich selbst übersetzt, ist unterschiedlich. Jemand der Kunst studiert hat, sieht vielleicht in einem Schluck Wein Monet oder Picasso. Ein Architekt vergleicht Wein mit Zeitepochen und beschreibt ihn als gotisch oder kolonial. Ich habe Musik studiert, daher ist es meine Sprache.

STANDARD: Können Sie Beispiele nennen?

Leone: Wilde Weine gehen für mich in Richtung Psychedelic. Das kann zum Beispiel Star-Spangled Banner von Jimi Hendrix auf dem Woodstock-Festival sein. Du weißt nie, was als Nächstes kommt, und das ist spannend. Burgunder kann nach Beethoven klingen. Er ist vorhersehbar, hat aber einen gewissen Schwung, der toll ist – Perfektion durch und durch.

STANDARD: Wie würde Veltliner aus Österreich für Sie klingen?

Leone: Moderner, scharfer Veltliner wie der von Veyder Malberg oder Pichler Krutzler klingt für mich wie Indie-Rock. Der Wein ist clean, aber zugleich auch ein bisschen schmutzig und nicht total klassisch. Er ist lustig, cool und passt zu vielen Situationen. Wenn wir aber von klassisch-fettem Veltliner sprechen, wie jener von Hirtzberger, dann sind wir eindeutig bei Rammstein.

STANDARD: Wie schafft man es, Aromen in seine eigene Sprache zu übersetzen?

Leone: Wenn mich im Restaurant ein Gast fragt, was er da im Wein riechen soll, sage ich ihm, dass er das selbst herausfinden muss. Ich habe nicht seine Erfahrung, ich weiß nicht, was er in seiner Kindheit gerochen oder gegessen hat. Ich bin zum Beispiel nicht mit Marillen aufgewachsen. Wie soll ich dann jemals in einem Wein Marillen riechen? Das ist unmöglich, weil es bei mir keine Emotion erzeugt. Es geht darum, bekannte Aromen abzurufen.

STANDARD: Das kann jeder trainieren?

Leone: Grundsätzlich ja! Es kann auch jeder Bodybuilder werden. Aber will man jeden Tag im Fitnessstudio verbringen? Das ist die Frage. Der einzige Unterschied zwischen normalen Leuten und Sommeliers ist, dass wir ein riesiges Archiv mit Gerüchen und Geschmäckern im Kopf haben. Wenn ich zum Beispiel spazieren gehe und die Straße wird gerade asphaltiert, rieche ich Nebbiolo. Er riecht für mich nach Teer. Natürlich kommen noch andere Aromen wie Hagebutte, Sauerkirsche, Trüffel, Waldboden und schwarzer Tee dazu. Rieche ich frisch gemähtes Gras, dann rieche ich Neuseeland Sauvignon blanc. Der Wein riecht neben Gras auch nach Grapefruit, Stachelbeere und ein bisschen nach Katzenpisse.

STANDARD: Manche Weinbeschreibungen von Sommeliers sind sehr fantasievoll. Wird da nicht manchmal sehr übertrieben?

Leone: Man kann viel über Wein labern. Der amerikanische Weinkritiker Robert Parker ist ein gutes Beispiel dafür. Für viele ist seine Art der Weinbeschreibung vorbildlich. Da riecht ein Wein dann plötzlich nach gemahlenem Mondgestein. Wer, bitte, hat jemals in seinem Leben Steine vom Mond gerochen? Und macht es einen Unterschied, ob er gemahlen ist oder nicht? Das alles ist einfach nur lächerlich. Viele Sommeliers denken, je intellektueller sie klingen, desto mehr werden sie geschätzt. Aber damit entfernen wir uns eher vom Gast, weil es arrogant und selbstgefällig wirkt.

STANDARD: Sie werden oft als Punk der Sommelierszene bezeichnet. Woher kommt diese Lockerheit?

Leone: Ich sehe mich als Berater und Coach. Für mich ist es eine Ehre, wenn ein Gast das Haus verlässt und zum Essen und Trinken kommt. Schließlich haben manche unserer Gäste zu Hause auch einen großen Weinkeller und kennen sich bestens aus. Sie wollen aber bei uns einen tollen Abend erleben. Was bringt es, wenn ich das zerstöre, weil ich ihnen meine Philosophie aufzwingen möchte? Wer bin ich, dass ich Leuten sage, was sie trinken müssen? Wenn jemand sich einbildet, Espresso-Martini zu Tunfisch-Nigiri zu trinken, dann soll er es machen. Hauptsache, er hat Spaß gehabt und sagt danach, der Abend hat sich gelohnt.

STANDARD: Das heißt, Gäste haben Narrenfreiheit?

Leone: Man sollte sich schon ein bisschen einlassen auf das Weinkonzept. Es macht auch wenig Sinn, in ein französisches Restaurant zu gehen und auf einem Burger zu bestehen. Es ist eine Frage von Respekt. Dieser muss von beiden Seiten kommen.

STANDARD: Was halten Sie vom Orange-Wine-Trend?

Leone: Man muss sich die Frage stellen, was man mit Orange Wine meint. Es ist ein sehr breiter Begriff. Ich vergleiche es gerne mit Rock 'n' Roll in den 1960er-Jahren. Kann man wirklich Lynyrd Skynyrd mit Jimi Hendrix, The Doors mit Elvis vergleichen? Wahrscheinlich nicht, und trotzdem war es Rock 'n' Roll. Bei Orange Wines gibt es eine riesige Bandbreite. Es kommt auf viele Faktoren an. Das beginnt bei der Traube und hört bei der Lagerung des Weins auf.

STANDARD: Das heißt, nicht jeder Orange Wine hat seine Berechtigung?

Leone: Ja genau. Es gibt so viel Müll, der als Orange Wine verkauft wird. Es ärgert mich, wenn Leute Wein machen und gelerntes Weinwissen einfach ignorieren. Da werden dann Weine verkauft, deren Trauben von Keimen befallen sind. Das hat für mich nichts mit Orange Wine zu tun. Das ist einfach fehlerhaftes Zeug. (Alex Stranig, RONDO, 12.2.2017)

Weiterlesen:

Warum es so viele hippe Sommeliers gibt

Heidi Schröck über Süßwein: "Süß und süß ist viel zu süß"