Wien – Warum die Diskussion um Filterblasen gerade jetzt kommt, ist eigentlich unerklärlich. Denn getrennte Lebenswelten gibt es wohl, seit die Gesellschaft hierarchisch gegliedert ist. An einem Gericht kommt es aber gelegentlich zu Überschneidungen. Der Prozess gegen Manfred P., Walter V. und Franz V. ist ein Beispiel dafür.

Es geht um eine Auseinandersetzung im Schlingerl, einem Lokal in Wien-Floridsdorf. Alle drei Angeklagten behaupten, sie seien unschuldig und hätten nur in Notwehr gehandelt. Richterin Olivia-Nina Frigo hat also die etwas undankbare Aufgabe, zu eruieren, was passiert ist.

Der Erstangeklagte erzählt es so: Er sei am Nachmittag des 19. September bei seiner Hunderunde im Lokal bei seinem Bier gesessen, als der Drittangeklagte dort herumgeschrien habe. Die Aufforderung, etwas leiser zu sein, sei mit "Blade Sau, hoit di Pappm, sauf dei Bier aus und schleich di!" quittiert worden.

Eskalation bei der Abendrunde

Bei der Abendrunde kehrte Herr P. wieder ein, danach kamen die anderen beiden Angeklagten. Er wollte gehen, vor dem Lokal sei die Situation eskaliert. Er habe einen Stoß erhalten, sei niedergefallen, habe Tritte und Schläge verabreicht bekommen. Nach der Flucht ins Lokal hat der Unbescholtene die Polizei alarmiert. Trotz der Drohung: "Waundst Polizei ruafst, bist hi!"

"Haben Sie auch einen Barhocker in die Höhe gehalten?", fragt die Richterin ihn. "Da kann ich mich nicht erinnern." – "Haben Sie dem Zweitangeklagten Schläge verpasst?" – "Nicht bewusst." Seine eingestandenen drei, vier Bier scheinen für selektive Wahrnehmung gesorgt zu haben.

Der 40 Jahre alte Zweitangeklagte, der es schon auf zehn Vorstrafen gebracht hat, macht einen etwas benommenen Eindruck, was an seinen Drogenersatzmedikamenten liegt, wie er erzählt. Er hat den fraglichen Abend ganz anders in Erinnerung. "Ich bin reingegangen, was trinken", beginnt er. Plötzlich habe sein Bekannter, der Drittangeklagte, von draußen "Walter! Walter!" geschrien.

Keine Spuren auf Messer

Als er vor die Tür kam, habe P. gesagt: "Jetzt sads scho zu zweit. Dann nimm i a Messa!", habe eines gezogen und ihn damit leicht an der Hand verletzt. Am Tatort wurde zwar ein Messer sichergestellt, P. beteuert aber, es sei nicht seines. Verwertbare Spuren wurden darauf nicht gefunden.

Zurück im Lokal habe P. ihn dann mit erhobenem Hocker gedroht, er habe zur Selbstverteidigung auch einen in die Hand genommen. "Dann hat er gesagt: ,Du Scheißjunkie' und mir ins Gesicht gespuckt." Ein weiterer Gast, von dem nur der Spitzname "Der Mechaniker" bekannt ist, habe die Situation dann beruhigt.

"Waren Sie sehr betrunken?", will Frigo wissen. "Sehr möchte ich nicht sagen. A bissi." Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die Polizei festgehalten hat, dass V. "schwer alkoholisiert" gewesen sei und er, "soweit es ihm möglich war", die Aussagen des Drittangeklagten bestätigt hat.

Polizei sah kein Cut

Überraschend auch, dass die Beamten zwar eine kleine Schnittwunde an der Hand und Blut im Mundwinkel im Protokoll vermerkt haben, aber ein gröberes Cut über dem Auge, das eine Narbe zurückließ, nicht. Genau das will der Zweitangeklagte aber durch einen Faustschlag bekommen haben.

"Jetzt Ihre Variante", fordert die schon etwas erschöpfte Richterin den Drittangeklagten auf. Er bestätigt zunächst die nachmittägliche Konfrontation mit dem Erstangeklagten. Aber: Der sei vom benachbarten Tisch aufgestanden und habe sich in eine Diskussion eingemischt. Sein Ansatz zur Mediation: "Waunds ihr jetzt ned endlich di Goschn hoits – hau i da ane in die Goschn!"

Dieser Angeklagte, 51 Jahre alt und ebenfalls unbescholten, tritt vor Gericht recht selbstbewusst auf. Auffällig sind auch seine Versuche, Hochdeutsch zu sprechen. Die funktionieren im Ansatz manchmal durchaus, scheitern allerdings, je länger seine Sätze werden. Und von denen gibt es viele.

Streit vor dem Lokal

Das zweite Aufeinandertreffen sei jedenfalls so gewesen: Er habe vor der Tür auf seinen Bekannten gewartet. P. sei herausgekommen, es habe erneut eine Stänkerei gegeben, und es sei zur Auseinandersetzung gekommen. Dass der Kontrahent ein Messer gezogen habe, bestätigt er; ob er seinen Bekannten damit verletzt habe, weiß er nicht.

Er beschreibt allerdings auch, P. habe den Zweitangeklagten schwer verprügelt. Die blutende Wunde über dessen Auge habe er auch gesehen. "Warum die Polizei nicht?", fragt die Richterin. "Vielleicht hat er sich das Blut schon abgewischt gehabt?", kann der Drittangeklagte nur mutmaßen.

"Um die Wahrheit ist es hier im Raum nicht so gut bestellt", hält Frigo noch fest, ehe sie wegen der fortgeschrittenen Zeit und fehlender Zeugen auf unbestimmte Zeit vertagen muss. (Michael Möseneder, 10.2.2017)