Armutsforscher und Linken-Kandidat Butterwegge

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STANDARD: Sie rechnen nicht ernsthaft mit einem Einzug ins Berliner Schloss Bellevue, oder?

Butterwegge: Meiner achtjährigen Tochter würde es zwar gefallen, als Prinzessin ins Schloss nach Berlin zu ziehen, aber vermutlich wird es kein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen dem Kandidaten der großen Koalition und mir.

STANDARD: Warum treten Sie an?

Butterwegge: Erstens lebt eine Demokratie von politischen und personellen Alternativen. Wenn nur Frank-Walter Steinmeier, den auch die FDP und ein Großteil der Grünen unterstützen, zur Wahl stünde, wäre das keine. Also biete ich eine linke Alternative.

STANDARD: Und der zweite Grund?

Butterwegge: Ich beschäftige mich seit vielen Jahren mit einem Schlüsselproblem der Gesellschaftsentwicklung nicht nur in Deutschland: Das ist die Spaltung in Arm und Reich. Diese Kluft vertieft sich immer stärker. Darin sehe ich eine große Gefahr für die Demokratie. Wir wissen, dass jene, die arm sind, sich immer weniger an politischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozessen beteiligen. Es ist empirisch belegt, dass sie kaum noch zur Wahl gehen. Teile der unteren Mittelschicht und des Kleinbürgertums, die Angst vor dem sozialen Abstieg haben, wenden sich verstärkt der AfD zu. Ich sehe alarmierende historische Parallelen.

STANDARD: Zu den Dreißigerjahren?

Butterwegge: Ja, in der Wirtschaftskrise der Dreißigerjahre waren es auch Handwerker, Bauern und Einzelhändler, die den Aufstieg der NSDAP bewirkt haben. Ebenso verhielt es sich in den Sechzigern, während der ersten Rezession nach dem Krieg, mit der NPD, die 1969 fast in den Bundestag eingezogen wäre.

STANDARD:Haben bisherige Präsidenten das Thema vernachlässigt?

Butterwegge: Die soziale Frage hat keiner von ihnen ausreichend thematisiert. Der nächste Bundespräsident sollte dies zum Schlüsselthema seiner Amtszeit machen. Wir brauchen weniger Ellbogendenken, mehr Solidarität und die Umverteilung des Reichtums von oben nach unten.

STANDARD: Im Vergleich zu anderen Ländern geht es Deutschland gut.

Butterwegge: Aber 24,3 Prozent der Beschäftigten arbeiten im Niedriglohnsektor, und das sind nicht nur gering Qualifizierte. Drei Viertel haben einen Schulabschluss, elf Prozent einen Hochschulabschluss. Es gibt keine Gewähr, dass man durch eine gute Ausbildung der Armut entkommt. Davon ist man nach einer Kündigung oder einer schweren Krankheit nicht weit entfernt.

STANDARD: Immerhin hat Deutschland nun auch den Mindestlohn.

Butterwegge: Dies ist historisch betrachtet ein großer Fortschritt, aber die derzeitige Höhe von 8,84 Euro brutto pro Stunde reicht nicht aus. In einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der Linksfraktion hat die Regierung selbst eingeräumt, dass es mindestens 11,68 Euro sein müssten, damit man nach jahrzehntelanger Vollzeitbeschäftigung nicht in Altersarmut abrutscht.

STANDARD: Was würden Sie noch gerne geändert sehen?

Butterwegge: Das Steuersystem funktioniert nach dem Matthäus-Prinzip: Wer hat, dem wird noch gegeben, wer nicht viel hat, dem wird auch noch genommen.

STANDARD: Wer weniger verdient, zahlt doch auch weniger, das wissen Sie.

Butterwegge: Ja, aber es spaltet das Land, wenn man über Jahrzehnte hinweg Kapital- und Gewinnsteuern senkt, aber – wie es 2007 geschehen ist – die Mehrwertsteuer erhöht. Das belastet kinderreiche Familien von Geringverdienern und Transferleistungsbeziehern, deren Einkommen fast eins zu eins in Konsumgüter fließt.

STANDARD: Was wäre am Sonntag bei der Wahl ein Erfolg für Sie?

Butterwegge: Die Bundesversammlung hat 1260 Mitglieder, davon sind 95 von der Linkspartei. Ich verstehe mich darüber hinaus als Angebot an die Grünen und die Piraten, hoffe jedoch auch auf Stimmen sozialdemokratischer Wahlmänner und -frauen, die mit der Politik ihrer Parteiführung unzufrieden sind. Ein deutlich dreistelliges Ergebnis wäre zumindest ein Achtungserfolg. (Birgit Baumann aus Berlin, 10.2.2017)