Asylrecht, per Landkarte und Spielfigur erklärt: Jus-Studierende proben Kommunikation mit Laien.

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Wien – Warum fliehen Menschen aus Syrien? "Wegen Krieg", sagt eine Schülerin aus der Türkei. "Bürgerkrieg", ergänzt ein serbischer Schüler. Wohin die meisten Flüchtlinge gehen, ist schwerer zu beantworten. Österreich, Deutschland und Ungarn nehmen weltweit die meisten Flüchtlinge auf, glauben die Schüler der Klasse B7 der Polytechnischen Schule 10 in Wien-Favoriten. Wenig später lernen sie, dass die Türkei, Pakistan und Libanon mehr Geflüchtete aufnehmen als die gesamte EU zusammen.

"Fremden- und Asylrecht" heißt die Doppelstunde, gehalten wird sie von den Jus-Studierenden Eva-Sabrina Gotthardt und Thomas Kern. Die Schüler beantworten Quizfragen, Schokolade wird verteilt, die Frage des Asylschutzes wird anhand fiktiver Geschichten erklärt.

Zum Beispiel jener von Max. "Max wird von Paula verfolgt, sie ist nämlich total verrückt nach ihm. Er zieht von Wien nach Vorarlberg und will dort einen Asylantrag stellen. Geht das?", fragt Gotthardt. Die Antwort: nein. Nur Nichtösterreicher können in Österreich Asyl beantragen. Zudem, erklärt Kern, "geht von Paula keine große Gefahr aus" – und wäre dem so, dann könnte sich Max an die Wiener Polizei wenden. Er hätte somit kein Recht auf Asyl, weder in Vorarlberg noch im Ausland, da sein Schutz im Herkunftsland gewährleistet ist. Die Schüler hören zu und nicken – so weit alles klar.

Fragen zu Internet-Recht

Es begann im Sommer 2013 als vage Idee von ein paar Jus-Studierenden, die ihr Wissen in Schulen weitergeben wollten. Heute ist das Legal Literacy Project (LLP) zu einer stolzen Größe angewachsen, Standorte gibt es in Wien, Graz und Linz, weitere sollen folgen. Allein in Wien wurden im Vorjahr 101 Rechtsworkshops abgehalten. Die Klassen können aus elf Rechtsthemen wählen, am beliebtesten sind die Workshops zu Cybermobbing, Urheberrecht im Internet, Jugendstrafrecht und Arbeitsrecht. Aber auch abstraktere Themen wie Grundrecht, Europarecht oder Fremden- und Asylrecht werden über das Onlinebuchungstool angefordert.

Die Juristerei gilt vielen als abstrakt-sperrige Geheimwissenschaft, auch viele Lehrer schrecken deshalb vor rechtswissenschaftlichen Inhalten zurück. Während es an berufsbildenden Schulen die Fächer Politische Bildung oder Wirtschaft und Recht gibt, ist an Gymnasien nur ein Modul im Geschichteunterricht für Politik reserviert. Das merke man den Schülern an, sagt LLP-Präsident Richard Franz. "An berufsbildenden Schulen und Polys sind die SchülerInnen oft mehr mit juristischem Denken vertraut als in Gymnasien", sagt Franz.

Abseits der Gurke

In den Workshops gehe es darum, zu "zeigen, was Recht eigentlich mit mir selbst zu tun hat". Die Grundrechte werden hier nicht als abstrakte Normen vorgestellt, sondern als "etwas, was mich schützt", sagt Franz. Und in der Einheit zum Europarecht bewegen sich die Schüler weg von Klischees wie der Gurkenkrümmungsnorm und hin zu weniger bekannten EU-Erfindungen – etwa dem 14-tägigen Rückgaberecht im Verbraucherrecht.

Auch der Fremdenrechtsworkshop nimmt Bezug auf die Lebensgeschichten der Schüler, wobei das im Poly 10 nicht schwerfällt: 99 Prozent der Schüler des Poly 10 hätten einen Migrationshintergrund, sagt Klassenvorständin Brigitta Engel. Die Stunde beginnt mit einer Art Klassenaufstellung. "Vorne bei der Tafel ist der Nordpol, hinten beim Fenster die Antarktis, wo seid ihr geboren?" Alle stellen sich auf, die meisten bleiben in der Mitte, in Österreich stehen. Auf die Frage, ob ein Elternteil im Ausland geboren sei und wenn ja, wo, verstreut sich die Gruppe: Viele kommen aus der Türkei, einige aus Exjugoslawien. Im Workshop lernen sie, zwischen Asyl und Migration zu unterscheiden und erfahren, dass die größte Ausländergruppe in Österreich die Deutschen sind.

Alles gratis

Für die Schulen ist das Angebot gratis. Spesen werden durch Spenden und Sponsoring gedeckt, die Studierenden halten die Workshops ehrenamtlich, auch die Workshoporganisation und das Training der neuen Dozenten werden von Ehrenamtlichen geleistet. Wobei Idealismus nur ein Teil ihrer Motivation sei, sagt Vorstandsmitglied Lena Kolbitsch. Den Studierenden gehe es auch darum, Praxis zu sammeln.

Viele sehen die Workshops als Training für den späteren Job als Richterin oder Rechtsanwalt: "Man lernt, Sachverhalte so zu erklären, dass sie jeder versteht." Denn letztlich gebe es kein ehrlicheres Feedback als den gelangweilten oder gespannten Gesichtsausdruck eines 14-jährigen Schülers. (Maria Sterkl, 15.2.2017)