Joëlle Tuerlinckx: "Tache d'atelier chocolat barrée rouge" (2005).

Foto: Galerie nächst St. Stephan

Ein wenig detektivisches Gespür kann in der Ausstellung von Joëlle Tuerlinckx in der Galerie nächst St. Stephan nicht schaden. Schon mit dem Titel Les Salons Paléolithiques deutet die 1958 in Brüssel geborene Künstlerin ja an, dass Betrachter auf eine Art archäologischen Trip geschickt werden. Ausgangspunkt ihrer Präsentation ist eine Handnegativform: eine mit simplen bildnerischen Mitteln an die Wand applizierte Hand, wie sie 15.000 v. Chr. in einer Höhle in Pech Merle im Südwesten Frankreichs entstanden ist.

Die uralte Technik hat die belgische Künstlerin in ihrer aktuellen Präsentation nun ebenfalls angewandt. Leerstellen beziehungsweise das, was diese umgibt, lassen die Abwesenheit diverser Gegenstände, etwa eines Zeitungsbogens, einer Stange oder auch eines Hammers, erahnen. Manner-Kochschokolade hat sie etwa benutzt, um einen Tache d'atelier chocolat (grob: einen "Fleck des Ateliers aus Schokoloade") in die Wiener Ausstellung zu übertragen, wo sie Zeichnungen, Objekte, aber auch Fundstücke wie eine eigene Arbeit aus dem Jahr 1980 zeigt.

Das Wiederausgraben von Werken aus dem eigenen Archiv ist für die Arbeit von Joëlle Tuerlinckx ganz wesentlich. Schließlich geht es der Künstlerin, die zuletzt im Kunstmuseum Basel, im Haus der Kunst in München oder im Arnolfini in Bristol vielbeachtete Ausstellungen hatte, nicht um die Präsentation eines fixfertigen OEuvres. Was die Künstlerin interessiert, ist das Herstellen von Situationen, die man im Begehen erfahren muss.

Experimentelle Bildverfahren

Einer klassischen Hängung oder Objekten auf Sockeln begegnet man ihrem Konzept entsprechend nicht: Vielmehr werden in der Präsentation neben den Wänden der Boden, die Fensternischen, eine Vitrine oder auch diverse Ecken der Räume bespielt.

Gleich zu Beginn wird außerdem deutlich, dass die Künstlerin nicht nur für außergewöhnliche Materialien ein Faible hat, sondern auch für experimentelle bildnerische Verfahren: Die Serie Geometrical book basiert etwa auf (älteren) Aufzeichnungen (u. a. ihren "Theorien des Gehens"), die sie beim Ziehen durch den Kopierer verwackelte, anschließend vergrößerte und auf Aluminiumplatten affichierte.

Damit bedient sie sich eines Verfahrens, das die Originalität des Kunstwerks hinterfragt, während sie mit den "Leerstellen" und "Flecken" gleichzeitig den Repräsentationscharakter der Galerie untergräbt. Place "white/156x156" heißt eine Arbeit, die dort auf dem Boden zu sehen ist – oder auch nicht: Denn eigentlich handelt es sich "nur" um vier Gewichte und einen Mohairfaden, die einen weiteren, in diesem Fall modernistisch-quadratischen "Platz" abstecken.

Obwohl daneben noch andere Objets trouvés Spuren aufweisen – etwa ein schwarzer Kubus, auf dem sich ein weißer Handabdruck befindet -, könnte der Verweis aufs detektivische Betrachten in die Irre führen. Es geht der Künstlerin keineswegs um Objektivität, Wahrheit oder Nachprüfbarkeit. Vielmehr eröffnet sie hier einmal mehr einen sehr persönlichen Kosmos, in dem sie Fragen der (Re-)Präsentation zwar (selbst)kritisch reflektiert, in dem sie, was die Auseinandersetzung mit den großen philosophischen Fragen des Lebens betrifft, aber gleichzeitig subjektiv, poetisch und auf sehr reizvolle Weise verrätselt bleibt. (Christa Benzer, Album, 11.2.2017)