STANDARD: Hat Sie Donald Trump in den ersten Wochen als Präsident überrascht?

Endler: Trump hat nicht vom Wahlkampf- auf den Präsidentenmodus umgeschaltet. Es war wohl Wunschdenken, dass das Amt den Amtsträger formt. Im Gegenteil: Die Machtfülle des Amtes scheint ein Verstärker für Trumps Vorgehensweise zu sein. Er spricht nach wie vor nur seine Unterstützer an, wendet sich kaum jemals an das Land als Ganzes, wie es seine Vorgänger gehalten haben. Und wenn man realistisch ist: Es gibt auch wenig Anreiz für Trump, diese Strategie zu ändern.

STANDARD: Er spaltet ganz bewusst weiter?

Endler: Natürlich. Das Einreiseverbot für Muslime ist ein selbstdeklarierter Gerechtigkeitsfeldzug, da geht es um Regierung gegen Legislative, gegen die vermeintlich verkrusteten Institutionen.

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Endler: "Donald Trump (Bild: Antrittsrede am 20. Februar 2017) hat nicht vom Wahlkampf- auf den Präsidentenmodus umgeschaltet."
Foto: REUTERS/Rick Wilking

STANDARD: Ist es nicht absurd, dass sich jemand als Robin Hood gegen das System geriert, wenn er selbst davon profitiert hat?

Endler: Natürlich, aber ich bevorzuge, Trump weniger als Figur, sondern eher als Symptom einer krisenhaften Situation zu betrachten. Trump ist nicht deren Verursacher, aber er konnte nur aus ihr hervorgehen. Viele Amerikaner spüren generelle Besorgnis, eine schleichende Resignation, das Gefühl, zu kurz gekommen zu sein. Trump ist eine Art Geliermittel für diese Sorgen. Er macht die Sache konkret, etwa in Form von Verachtung für die Eliten.

STANDARD: Wie sehen Sie die Person Trump?

Endler: Ich glaube, dass Trump raffinierter ist, als es lange Zeit den Anschein hatte. Die Art und Weise, wie er kommuniziert, wie er Themen besetzt: Das hat Kalkül. Gleichzeitig kann man ihn als krassen Narzissten bezeichnen. Er ist authentisch im Bemühen, die amerikanische Demokratie aus ihren Angeln zu heben. Das ist natürlich hochgefährlich, auch weil seine "Bewegung" auf das Schüren von Ängsten baut. Er weiß genau, was er da tut.

STANDARD: Was steckt hinter dem rasanten Tempo, das Trump zurzeit hinlegt?

Endler: Es geht sicher um Ablenkung. Als er gleich zu Beginn den Medien de facto den Krieg erklärt hat, hat er abgelenkt von problematischen Minister-Hearings. Gleichzeitig will er möglichst viele Pflöcke einschlagen, bevor diese Minister zu arbeiten beginnen. Man hat ja von ihnen ansatzweise schon Widerworte gehört, etwa von Verteidigungsminister James Mattis zur Nato-Positionierung der USA; oder von Außenminister Rex Tillerson, der sich weit vorsichtiger äußert als sein Chef. Trump will aber die oberste Kontrolle. Da entsteht ein autokratisches Gefüge.

STANDARD: Geht es in Richtung Diktatur?

Endler: Diktatur noch nicht, aber Trumps Politik hat autokratische Züge. Dieser Mann untergräbt systematisch die Glaubwürdigkeit jener, die sich gegen ihn stellen, auch schon im Wahlkampf: "Ich kann nur dann verlieren, wenn es nicht mit rechten Dingen zugeht." Eine ungeheure Anschuldigung! Dieser Logik folgend, untergräbt er jetzt die Autorität der Medien und der Justiz. Er testet Grenzen, darin sehe ich auch einen anarchistischen Zug. Diese von ihm verursachte Erschütterung reicht aus, um Verunsicherung zu schüren – weltweit.

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Endler: "Ich halte Stephen Bannon für brandgefährlich."
Foto: AP Photo/Evan Vucci

STANDARD: Und dabei hilft ihm sein Einflüsterer Stephen Bannon ...

Endler: Ich halte Bannon für brandgefährlich; dabei gibt es die fast verzweifelte Hoffnung, dass man Trump auch anders beeinflussen könnte, wenn man bloß Bannon aus dem Spiel kriegen würde. Ich glaube nicht daran: Für mich ist das Zentrum der Macht Trump selbst. Man wird nicht einfach aus Zufall Präsident.

STANDARD: Und wenn man Trump selbst aus dem Spiel bringen würde?

Endler: Sie meinen durch ein Amtsenthebungsverfahren? Das sehe ich nicht wirklich. Dazu gibt es keine Mehrheiten im Kongress. Sicher, auch viele Republikaner haben Probleme mit Trump. Aber sind die Probleme so groß, dass man einen Präsidenten der eigenen Partei des Amts entheben würde? Wohl kaum. Denn das wäre eine Niederlage für die Partei als Ganze. Die zweite Variante: Trump verliert die Lust. Auch sehr unwahrscheinlich, das hängt alles mit seinem Narzissmus zusammen – und mit der Attraktivität der Macht. Und die dritte Variante wünscht man niemandem: ein Attentat.

STANDARD: Und was wäre mit einer vierten Variante: geänderte Mehrheitsverhältnisse nach den nächsten Kongresswahlen in nicht einmal zwei Jahren?

Endler: Dieser Mehrheitswechsel ist möglich, ja sogar wahrscheinlich. Es ist oft so, dass bei Midterm-Elections das Volk Zwischenbilanz zieht und sich so die Mehrheiten verschieben, dann zugunsten der Demokraten. Bis dahin wird man sehen, wie viel von seiner Agenda Trump durchgebracht haben wird. Bis dahin werden die anderen Gewalten des Staates – vor allem die Judikatur – Trump noch so manchen Stein in den Weg legen. Aber längerfristig wird es nicht so leicht sein, den Präsidenten zu stoppen, da seine Kompetenzen doch sehr weit reichen und es früher oder später auch in der Justiz zum Disput kommen kann. Etwa dann, wenn verschiedene Gerichte beginnen, unterschiedlich zu entscheiden. Dieses Chaos käme dann wieder Trump zupass. Da sind wir wieder bei der Spaltung.

STANDARD: Was kann man also Trumps autoritärem Regierungsstil entgegensetzen?

Endler: Eine Form von wehrhafter Demokratie, die signalisiert, dass nicht alles möglich sein darf; dass es Grenzen gibt. Ich bin nicht sicher, ob das aus den Institutionen kommen kann, denn die Sogwirkung der Macht ist allzu stark zu spüren. Nein, dieser Erneuerungsimpuls muss aus der Zivilbevölkerung kommen. Wir können schon jetzt nicht mehr davon ausgehen, dass Trump durch das Amt der Präsidentschaft noch geformt wird, dass ihm die Verantwortung noch bewusst wird und ihn diese Erkenntnis überlegter vorgehen lässt.

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Studenten in New York sehen in der neuen US-Administration eine Form faschistischer Regierung.
Foto: Spencer Platt/Getty Images/AFP

STANDARD: Und wie groß müsste deren kritische Masse dann sein?

Endler: Enorm. Es müssten alle gesellschaftlichen Bereiche mittun, Trump hat bereits eine gewaltige Schneise der Verwüstung gezogen. Man hat sich an Verschiedenes gewöhnt: die Verrohung, das Vulgäre, das Obszöne, die Halbwahrheiten, die glatten Lügen. Gewöhnung auch an das Reaktionäre, an Dinge, die schon überwunden waren: das Nationalistische, zum Beispiel; die Einteilung der Welt in Schwarz und Weiß; das Wir-gegen-die-Denken. All das schien überholt. Das alles müsste diese zivilgesellschaftliche Bewegung überwinden und hinter sich lassen.

STANDARD: Glauben Sie an diese Chance?

Endler: Offenbar weniger als der berühmte amerikanische Intellektuelle Noam Chomsky, das musste ich vor kurzem feststellen, als er auf einem Podium von Democracy Now! sprach. Chomsky äußerte sich – für seine Verhältnisse – erstaunlich optimistisch. Er zeigte sich ermutigt von der Mobilisierung der Zivilgesellschaft, vor allem der Jungen. Er sah in der Bedrohung durch Trump sogar so etwas wie eine Chance. Nun gut: Die Entwicklung der Demografie läuft gegen Trump, das stimmt. Ich finde es auch sehr positiv, dass die Menschen wieder auf die Straßen gehen – vielleicht eine Reaktion darauf, dass Trump das Virtuelle in Form von Twitter so an sich gerissen hat.

Aber ich bleibe bei der Auffassung, dass Trump formell nur sehr schwer des Amtes zu entheben sein wird. Erschwerend ist auch der Faktor, dass dann viele Menschen ihre Wahlentscheidung für Trump revidieren – und dies zugeben – müssten. Das ist eine riesige psychologische Hürde für jeden Einzelnen von uns. Allemal ist es einfach leichter, sich lediglich von Trump abzugrenzen, das allein wirkt in diesen Zeiten schon konstruktiv. Sehr viel mehr Aufwand hingegen bedeutet es, tatsächlich mit konstruktiven Alternativen aufzuwarten.

Generell kann die Demokratie in den USA jemanden wie Trump aushalten, ich sehe genügend Widerstandskräfte und genug Elastizität. Aber nur, wenn die Zivilgesellschaft aktiv wird, von dort muss der Impuls kommen. Episoden wie die Aufhebung des Einreisestopps sind nur Zwischensiege der Judikatur. Ich glaube nicht, dass wir einen kompletten Umbruch erleben werden, ich glaube, dass es die Chance gibt, das Bestehende zu verteidigen und gewissermaßen zu heilen – das ist es, was ich mit wehrhafter Demokratie meine. Persönlich widerstrebt es mir einfach, Trump eine so starke gestalterische Kraft zuzusprechen, schließlich verkörpert er seit über anderthalb Jahren das Destruktive wie kein Zweiter. Auch wenn er sich gern als Robin Hood geriert. Ich sehe "The Donald" – wie schon erwähnt – vor allem als Symptom einer kritischen Zeit.

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Wenn Amerika nicht wieder rasch – wie sein Slogan war – "großartig" wird, dann könnten Donald Trumps Anhänger die Geduld verlieren.
Foto: AP Photo/Jae C. Hong

STANDARD: Und dass Trumps Wähler eher früher als später enttäuscht sein werden, glauben Sie nicht?

Endler: Das kann passieren, und dann wird es aber richtig gefährlich. Nämlich dann, wenn sie merken, dass dieser Mann keinerlei Loyalitäten kennt. Dass er immer nur für sich steht, als Marke Trump eben. Das würde durchbrechen, wenn er nicht liefern sollte; wenn er nicht so viele Jobs nach Amerika zurückbringt, wie er versprochen hat – in Zeiten der Globalisierung ohnehin eine glatte Lüge: Kein Präsident der Welt kann das bewerkstelligen, schon gar nicht über ein Machtwort. Wohin werden sich seine Anhänger dann wenden?

STANDARD: Und wird der Widerstand gegen Trump erfolgreich sein?

Endler: Wir müssen aufpassen, dass das Autokratische nicht übermächtig wird; müssen frühzeitig, jetzt, dagegenhalten. Noch bevor die demokratischen Medien aus dem Spiel genommen werden – denen will Team Trump den Garaus machen, das ist ganz unverhohlen das Ziel. Bannon sprach schon davon, dass die Medien einfach mal den Mund halten und zuhören, allenfalls noch Sprachrohr sein sollten. Aus dem gleichen Grund dürfen wir uns auch nicht ablenken lassen, wie es Trump gerade versucht; und uns nicht Themen vorschreiben lassen, sondern wir müssen die wirklich wichtigen Fragen selbst stellen. Also: Herr Trump, Sie schulden der Deutschen Bank über 300 Millionen Dollar. Wie wollen Sie den Finanzsektor effektiv kontrollieren? Bei all dem, so absurd es klingt, ist freilich amüsierte Überlegenheit nicht angesagt. Uns muss klar sein: Was in den USA passiert, das ist übertragbar – auch auf uns, auf Europa. (Gianluca Wallisch, 11.2.2017)