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Auftritt vor dem Fahnenmeer: Präsident Erdoğan will mit den Nationalisten das Referendum gewinnen.

Foto: AP / Kayan Ozer

Ankara/Athen – Entlassungen, Medienschließungen und Verhaftungen von Journalisten sind nichts Neues mehr für die türkische Öffentlichkeit. Doch dass der Moderator einer bekannten Morgensendung vom Bildschirm verschwindet, weil er seine Meinung kundgetan hat in einer Frage, die nun alle türkischen Wähler beantworten sollen, schlägt doch hohe Wellen: İrfan Değirmenci will beim Referendum über die Verfassungsänderung für den türkischen Staatschef am 16. April mit Nein stimmen. Das twitterte der Fernsehmann am vergangenen Freitagabend in die Welt hinaus. Am nächsten Tag war er seinen Job los.

Ganze 20 Twittermeldungen wandte Değirmenci für seine Erklärung gegen die Verfassungsänderung für den autoritär regierenden Staatschef Tayyip Erdoğan auf. Seine Arbeitgeber im mächtigen Doğan-Konzern sahen nur noch wenig Spielraum. Der Journalist habe das Prinzip der Unparteilichkeit verletzt, hieß es in einer Mitteilung des Konzerns. Dasselbe warf die türkische Mediengruppe einem Kolumnisten ihres Massenblatts "Posta" vor: Hakan Çelenk argumentierte sein Nein gegen das geplante Präsidialsystem in eben einer Diskussionsrunde im Doğan-Fernsehsender CNN Türk. Auch Çelenk wurde entlassen.

Macht verschiebt sich

So scheint die Spaltung der Gesellschaft in der Türkei in Anhänger und Gegner Erdoğans so scharf wie nie zuvor in den bald 14 Jahren zu werden, die der heutige Präsident und frühere Premier an der Macht ist. Der Doğan-Konzern ist dabei ein besonderes Beispiel für die weitere Verschiebung der Machtverhältnisse im Land zugunsten Erdoğans. Dem Konzern gehören neben den auflagenstarken Tageszeitungen "Hürriyet" und "Posta" unter anderem auch die Sender CNN Türk und Kanal D, wo İrfan Değirmenci seine Show hatte.

Doğan war ein Flaggschiff der bürgerlich-säkularen Türkei, die lange kein gutes Haar an den frommen Konservativen aus Anatolien von Erdoğans AKP ließ. Doğan konnte in früheren Jahren eine Rekordstrafe wegen Steuervergehen abschütteln, doch spätestens seit dem vereitelten Putsch vom Juli 2016 und dem Beginn der Säuberungen von angeblichen Anhängern des Predigers Fethullah Gülen, die auch das Topmanagement des Konzerns erreichten, ist die Mediengruppe in der Defensive. Jedes Wort will nun überlegt sein. "Gibt es eine Freiheit, 'Ja' zu sagen?", überschrieb Murat Yetkin dieser Tage vorsichtig schlau einen Kommentar zum Verfassungsreferendum in der Zeitung "Hürriyet".

Nicht jeder ist ein Terrorist

Die Kampagne für den Volksentscheid ist derweil voll angelaufen. Regierungssprecher Numan Kurtulmus präzisierte am Montag nach den jüngsten Auftritten Erdoğans: Nicht jeder, der Nein zu den Verfassungsänderungen sage, sei ein Terrorist. Erdoğan hatte jene, die sich gegen die Einführung der Präsidentenherrschaft aussprechen, als Unterstützer der kurdischen Untergrundarmee PKK und der Putschisten vom Sommer vergangenen Jahres bezeichnet.

Erdoğan selbst räumte ein, dass die Umfragen bisher noch nicht die klare Zustimmung zum Systemwechsel erkennen lassen. Der Staatschef will künftig allein und per Dekret regieren. (Markus Bernath, 14.2.2017)