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Die Bundesregierung wünscht sich für den Fall von Gefahr die Herausgabe öffentlicher Videoaufnahmen.

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Christof Tschohl

Foto: epicenter.works

Die erfolgreiche Klage gegen die Vorratsdatenspeicherung vor dem Verfassungsgerichtshof hat Christof Tschohl mit eingebracht. Nun stößt er sich an den Plänen der Bundesregierung laut ihrem Arbeitsprogramm, Betreiber öffentlicher Videoüberwachungsanlagen in Gefährdungssituation dazu zu verpflichten, gespeicherte Aufnahmen herauszugeben. Die Sicherheit im öffentlichen Raum werde durch eine solche Maßnahmen nicht gefördert, sagt der Obmann der Plattform Epicenter.works – zumal die aktuelle Lage nicht ausreichend evaluiert worden sei: Es fehlten valide Statistiken und andere Aufschlüsse.

STANDARD: An öffentlichen Orten wird die Überwachung intensiviert, weil sich, wie es heißt, immer mehr Menschen vor Übergriffen fürchten. Gleichzeitig fühlen sich die meisten Menschen in Österreich laut Umfragen vor Verbrechen sicher. Ist das ein tatsächlicher oder ein scheinbarer Widerspruch?

Tschohl: Ich glaube, nur ein scheinbarer, denn Befragungen zum subjektiven Sicherheitsgefühl sind höchst suggestiv. Dass sich Österreicher wiederum mehrheitlich vor Verbrechen sicher fühlen, entspricht der objektiven Sicherheitslage.

STANDARD: Bei den Wiener Linien und den ÖBB klagen Mitarbeiter und Fahrgäste aber sehr wohl über mehr Aggressivität, daher patrouillieren etwa am Wiener Westbahnhof Securitys. Wie finden Sie das?

Tschohl: Ich hoffe, dass es valide Daten über die Zunahme solcher Übergriffe gibt. Auf alle Fälle dürfen gerade Sicherheitsdienste von Eisen- und U-Bahnen recht viel, haben auf Basis einer eigenständigen Rechtsgrundlage sogar Zwangsbefugnisse. Somit haben diese Kontrollen mit den derzeitigen höchst problematischen Forderungen nach Vernetzung der Überwachung und dem Vorratighalten von Überwachungsdaten für die Polizei nichts zu tun.

STANDARD: Was die angeht, will die Bundesregierung öffentliche Videoüberwachungsbetreiber verpflichten, ihr Material in Gefährdungslagen herauszugeben. Innenminister Wolfgang Sobotka schlägt darüber hinaus die Vernetzung privater Videoüberwachung zu Polizeizwecken vor. Was kritisieren Sie an diesen Plänen?

Tschohl: Dass es sich um typische Schnellschusspläne handelt. Im Vorfeld gab es null Evaluation, null Aufschluss, warum man Derartiges brauchen sollte. Auch fehlen Angaben, in wie viel Fällen solch Material nützlich gewesen wäre. Es ist ein Mythos, zu glauben, dass man Straftaten oder gar Terroranschläge durch das Zusammenschalten von Videoüberwachungsnetzen verhindern kann. Der Attentäter von Berlin, Anis Amri, winkte nach der Tat sogar in Überwachungskameras. Durch die ist man ihm nicht auf die Spur gekommen.

STANDARD: Die meisten Videokameras – öffentlich wie privat – gibt es in Großbritannien: im Großraum London allein rund eine Million, die zum Teil vernetzt sind. Hat das für die Sicherheit etwas gebracht?

Tschohl: Dazu gibt es leider nur informelles Wissen. Vom Londoner Polizeipräsidenten hört man über Dritte von Erfolgen, aus dem Netzwerk European Digital Rights (Vereinigung von Bürgerrechtsgruppen zum Schutz der Privatsphäre, Anm.) Gegenteiliges. Dabei liegt die Rechtfertigungslast für derart breite Überwachung beim Staat.

STANDARD: Beim Staat, der dieser Verantwortung nicht nachkommt?

Tschohl: Genau. Die Befürworter der Überwachung tappen im Dunkeln. Vergangenes Jahr wurden in Österreich für das Handbuch zur Evaluation der Antiterrorgesetze über befreundete Angeordnete parlamentarische Anfragen zum Nutzen der Maßnahmen gestellt. Valide Auskünfte gab es keine. Wie sich zeigte, fehlt es an brauchbaren Statistiken. (Irene Brickner, 14.2.2017)