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Alexander Van der Bellen spricht im EU-Parlament und warnt vor der "Verzwergung Europas".

Foto: REUTERS/Vincent Kessler

Straßburg – Alexander Van der Bellen wandte sich am Dienstag im Europäischen Parlament in Straßburg explizit an die "508 Millionen Bürgerinnen und Bürger Europas". Er tat dies vor einem Plenum, das in der vorhergegangenen Debatte zur Zukunft Europas nur schütter besetzt war, sich zu Beginn seiner Rede allerdings gut füllte. Der österreichische Bundespräsident wurde von den Abgeordneten mit einem warmen, langanhaltenden Applaus empfangen, auch der freiheitliche Abgeordnete Harald Vilimsky erhob sich von seinem Sitz. Marine Le Pen und Nigel Farage waren nicht anwesend.

Van der Bellen begann seine Rede mit biografischen Details, die Mutter Estin, der Vater Russe, er selbst Tiroler, Österreicher und "ein Kind Europas". Zur Unterhaltung der Abgeordneten gab er eine Probe seines Tirolerisch zum Besten, "letztes Jahr ist wie gestern", sagte er auf Deutsch, auf Tirolerisch unverständlich. "Ich bin entstanden aus einer glücklichen Verbindung einzigartiger Umstände. Und das ist auch das vereinte Europa für mich in seinen hellsten Stunden: eine geglückte Verbindung einzigartiger Umstände."

Van der Bellen will Mut und Zuversicht geben

Es sei in Europa eine Rhetorik des Ausschließens in Mode gekommen, als müsste man sich entscheiden zwischen der Liebe zu seiner Heimat und jener zu Europa, zwischen der Hilfsbedürftigkeit der eigenen Landsleute und der Hilfsbedürftigkeit anderer. Das stehe einander aber nicht im Wege, führte Van der Bellen aus, es bedinge einander. "Wir brauchen einander."

Er wolle Mut machen und Zuversicht geben, immerhin habe er selbst mit einem glasklaren Bekenntnis zur EU Wahlen gewonnen. "Meine Wahl zum Bundespräsidenten war eine klare Absage an den aufkeimenden Nationalismus, an den Protektionismus, an den verführerischen und vereinfachenden Populismus." Mit der Verletzung der Würde der Menschen, mit der Ablehnung gegenüber allem Fremden, mit der Einschränkung von Grundrechten und Grundfreiheiten, mit neuen Mauern und alten Nationalismen löse man kein einziges Problem, man schaffe nur neue.

Herausforderungen nur gemeinsam lösbar

Van der Bellen: "Das vereinte Europa ist das Resultat einer einzigartigen Zivilisationsleistung. Wir haben unseren Frieden aus purer Einsicht, durch Kooperation und gegenseitigen Respekt hergestellt. Der europäische Friede ist eine Zivilisationsleistung, auf die wir stolz sein sollen und die nicht hoch genug einzuschätzen ist."

Die Abgeordneten warnte der Bundespräsident vor einer "Verzwergung Europas". "Wir sind gemeinsam stärker als allein. Wenn wir auf diese einfache Wahrheit vergessen, setzen wir alles aufs Spiel, was uns ausmacht." Ein Rückfall in die "Kleinstaaterei" müsse vermieden werden. Alle großen Herausforderungen, Flucht und Migration, Klimawandel, Arbeitslosigkeit und Armut, Krieg und Vertreibung, seien nur gemeinsam lösbar. Und wer, so stellte Van der Bellen in den Raum, wenn nicht die Europäische Union könne dafür sorgen, dass globale Konzerne ihre Macht nicht missbrauchen, wer könne mit Google, Facebook und Microsoft neue Spielregeln vereinbaren?

EU als Vorbild für die ganze Welt

Unbestritten sei, dass es in der EU genügend Verbesserungspotenzial gebe, "unser Europa ist unvollständig und verletzlich". Wenn 28 hochentwickelte Demokratien das Drehbuch für ihr Zusammenleben schreiben, sei das weder einfach noch für den Einzelnen unumstritten. Bei allem Zweifel sei es wichtig, dass die Zuversicht überwiege. Er selbst glaube an ein gemeinsames, starkes Europa der Grundwerte und der Menschenrechte, der Freiheit, der Brüderlichkeit und der Solidarität. Er glaube auch an die rechtsstaatlichen Grundfesten der Demokratien und daran, dass "wir zwischen Tatsachen, Fake-News und Alternative Facts sehr wohl unterscheiden können".

Die EU könne ein Vorbild für die ganze Welt seien, erklärte der Bundespräsident: "Wir können und wir müssen als Vorbild für die Welt vorangehen. Wir können zeigen, dass unsere europäischen Werte unverhandelbar sind."

Appell an Jugend

Wie in seiner Rede bei der Angelobung vor der Bundesversammlung in Wien wandte sich Van der Bellen auch in Straßburg an die Jüngsten, hielt dann kurz inne, blickte in die Runde der Abgeordneten und stellte klar: "Damit wir uns nicht missverstehen: Die Jüngsten sind Sie nicht." Es seien die Jungen, deren Leidenschaft, Ideen, Mut, auch Respekt, deren Widerspruch man brauche. "Wir Älteren dürfen nicht zulassen, dass Europa den Jungen gestohlen wird."

Van der Bellen schloss mit einem Gedicht der britisch-walisischen Poetin Sarah Williams, aus dem er zitierte: "I have loved the stars too fondly to be fearful of the night" – und fügte an: "or of the next crisis of the European Union."

Die Abgeordneten spendeten Van der Bellen ausreichend Beifall, viele erhoben sich, Harald Vilimsky nicht. Er telefonierte. (Michael Völker aus Straßburg, 14.2.2017)