Angela Merkel und Youssef Chahed besuchten auch den Breitscheidplatz, wo Kerzen immer noch an die Opfer des Attentats erinnern.

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Der tunesische Premier besucht Berlin – vor Kurzem noch wäre ein solches Ereignis auch deutschen Medien kaum mehr als eine kurze Meldung wert gewesen. Doch nun, da auch Deutschland versucht, viele afrikanische Flüchtlinge gar nicht erst nach Europa zu lassen und zudem der Tunesier Anis Amri am 19. Dezember bei einem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt auf dem Berliner Breitscheidplatz zwölf Menschen tötete, hat sich die Lage geändert.

Die Visite von Youssef Chahed bei der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel war ein viel beachteter Termin am Dienstag. "Uns liegt die Beziehung mit Tunesien sehr am Herzen", erklärte Merkel, die beiden Länder seien nun ja "auf tragische Weise durch das Attentat verbunden".

Eine Verantwortung seines Landes wies Chahed aber zurück. Zwar erklärte er in einem Interview mit der Bild-Zeitung: "Eines muss ich ganz klar sagen: Die tunesischen Behörden haben keine Fehler gemacht." Denn Amri habe seine tunesische Heimat 2011 verlassen. Der Anschlag sei erst 2016 passiert. "Er hat sich in Europa radikalisiert", so Chahed. Die Behörden hätten auch keine Fehler mit seinen Papieren gemacht. Amri hätte eigentlich nach Tunesien abgeschoben werden sollen, weil sein Asylantrag abgelehnt worden war. Er hatte jedoch keine Dokumente, die Ersatzpapiere aus Tunesien trafen erst nach langer Zeit – einen Tag nach dem Anschlag – in Deutschland ein.

"Es tut uns wahnsinnig leid"

Der Fall zeige, dass die Zusammenarbeit zwischen Tunesien und Deutschland noch intensiviert werden müsse, erklärte Chahed, sagte aber auch: "Uns tut wahnsinnig leid, was in Berlin passiert ist."

Kanzlerin Merkel hatte vor dem Gespräch angekündigt, mit Chahed auch in "gegenseitigem Respekt" über die Möglichkeit von Asylzentren in Tunesien zu sprechen. Flüchtlinge sollten gar nicht mehr nach Italien kommen, sondern von dort aus gleich Asyl für EU-Länder beantragen.

Doch Chahed gab ihr diesbezüglich einen Korb und erklärte: "Tunesien ist eine sehr junge Demokratie, ich denke nicht, dass das funktionieren kann und wir für Flüchtlingscamps hier Kapazitäten haben. Es muss eine Lösung zusammen mit Libyen gefunden werden. Das ist der einzige Weg."

Die Opposition in Deutschland hatte Merkel vor einem solchen Deal gewarnt: "Angela Merkel darf mit Tunesien nicht den Fehler wiederholen, den sie im Umgang mit Erdogan gemacht hat, und durch einen schmutzigen Flüchtlingsdeal das Land von westlicher Kritik abschirmen", sagte Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt.

Fokus auf Libyen

Nach dem Gespräch erklärte Merkel, von den Flüchtlingen, die über das Mittelmeer von Nordafrika nach Europa gelangten, sei "ein großer Prozentsatz" ohnehin aus Libyen. Doch es gebe in Deutschland 1500 ausreisepflichtige Tunesier. Sie will mehr Unterstützung aufbringen, um diese zu einer freiwilligen Rückkehr zu bewegen. Denkbar seien Hilfen für Unternehmensgründungen und Bildungsangebote. Zum Abschluss des Treffens fuhren Merkel und Chahed noch zum Breitscheidplatz, wo am 19. Dezember zwölf Menschen durch den Anschlag Amris starben. (Birgit Baumann aus Berlin, 14.2.2017)