Auf dem Platz des Wiener Eislaufvereins sind schon viele umgefallen. Manche graziler (Bild), manche weniger (nicht im Bild).

Foto: Heribert CORN

Canaletto kaputt" titelte die Zeit 2005, als der geplante Bau einer vierspurigen Autobahnbrücke den Welterbestatus des Dresdner Elbtales bedrohte. 2009 war die "Blamage" amtlich: Die Unesco entzog den Welterbetitel. Zuvor war der Bau von einem Bürgerentscheid legitimiert worden. 2017 in Wien droht sich die Geschichte zu wiederholen, mit einer Ausnahme: Es werden nicht die Bürgerinnen und Bürger sein, die über ein umstrittenes Bauprojekt und damit über die Folgen für den Welterbestatus entscheiden dürfen. Warum eigentlich nicht?

Es geht um eine kulturpolitische Frage ersten Ranges, die nicht als "side effect" einer kommunalen Entscheidung abgehakt werden kann. Eine breite politische Diskussion über die Parteigrenzen hinweg und vor allem auch unter Berücksichtigung der Bürgerinnen und Bürgern ist daher unausweichlich.

Rund um die kommunalpolitische Hochhausposse wurde viel gesagt und geschrieben, teils sich wiederholende Narrative aus den Federn der PR-Abteilungen der jeweiligen Seite. Wir Politiker würden das "Spins" nennen. Das Spiel der Fortschrittlichen, die gegen die Bewahrer eintreten, wurde seitens der Medien gerne angenommen. Viele durften zu Wort kommen, nur die, die es am meisten betrifft – die Bewohnerinnen und Bewohner Wiens -, mussten sich den Streit erste Reihe fußfrei in den Medien anschauen.

Die Argumente sind – wenn auch in Varianten – immer die gleichen. Die meisten können leicht als verkürzt und übertrieben entkräftet werden:

"Wien darf als fortschrittliche und lebendige Stadt nicht unter eine Käseglocke gestellt werden": Moderne Architektur ist mit dem Welterbestatus vereinbar. In der Innenstadt gibt es Beispiele aufregender Architektur – zum Beispiel das Hotel Topazz oder das in Bau befindliche Luxuswohnhaus in der Renngasse 10, die durchaus als Landmarks bezeichnet werden können.

"Wenn es vor 150 Jahren schon die Unesco gegeben hätte, hätten wir keine Ringstraße": Schon beim Bau der Ringstraße waren die "privaten Investoren" dazu verpflichtet, eine Höhe von 13 Klaftern (24,7 Meter) nicht zu überschreiten, um den Einfluss auf das imperiale Stadtbild gering zu halten.

"Der Canaletto-Blick vom Oberen Belvedere hat Maßstab für jedwedes Vorhaben zu sein": Gerade im österreichischen Barock wurde durch die triumphale Inszenierung der Gegenreformation keinerlei Rücksicht auf das mittelalterliche Stadtbild genommen. Die "Neubauten" auf Canalettos Bild – Karlskirche und Salesianerinnenkirche – verdeutlichen das.

Die Positionen beider Seiten sind also stark verkürzt und reichlich übertrieben. Absolute Standpunkte sind in der Stadtplanung aufgrund des immanenten Interessenkonflikts ebenso sinnvoll für die Auflösung der Konflikte wie die Klärung der Schuldfrage bei einer Scheidung. Es lohnen sich daher ein paar grundsätzliche Gedanken über Verbindlichkeit, Transparenz und Aufrichtigkeit.

Stadtplanung in Wien kennt keine verbindlichen Richtlinien und keine transparenten und fairen Spielregeln. Nach dem für das aktuelle Projekt gültigen Hochhauskonzept von 2002 käme das diskutierte Hochhaus eigentlich in einer klar definierten Ausschlusszone für Hochhäuser zu liegen. Mangels Rechtsverbindlichkeit konnte das aber ganz einfach wegargumentiert werden. Dieser Zugang öffnet dem politischen Gezerre und der Intransparenz bei Einzelprojekten Tür und Tor. Aber auch und gerade für private Investoren müssten Verlässlichkeit und Verbindlichkeit von Regelwerken von hohem Interesse sein.

Dass Rechtsstaatlichkeit und Pakttreue in Österreich nicht groß in Mode sind, bekommen wir von Mahnern wie dem Rechnungshof oder Transparency International in regelmäßigen Abständen aufgezeigt. Trotzdem hat sich die Republik Österreich im Vertrag mit der Unesco dazu verpflichtet, ihre Welterbestätten zu schützen. Das In-Kauf-Nehmen des Verlusts des Welterbestatus, der von der Stadt Wien nun nicht einmal mehr geleugnet wird, ist schlicht ein Rechtsbruch. Bezeichnend ist das Schweigen des zuständigen Kulturministers Drozda, welches kaum zu "überhören" ist.

Jedenfalls ist die Frage des Weltkulturerbes grundsätzlich keine städteplanerische und schon gar keine ökonomische. Sie ist eine kulturpolitische und moralische. Es handelt sich um kein "Label", das sich eine Stadt umhängt, um asiatische Touristen anzulocken, sondern um ein humanistisches, kulturelles Bekenntnis.

Es gibt Gründe für und gegen den Welterbestatus. Ohne Zweifel ist jedoch das Ensemble der Wiener Innenstadt etwas Einzigartiges. In diesem Ensemble drücken sich kulturelle wie auch historische Wurzeln der Wiener Identität aus. Unverständlich ist daher der Drang, der imperialen Innenstadt einen kommunalen Stempel aufzudrücken. Wien ist mittlerweile weit über seine imperialen Grenzen gewachsen, es gibt zahlreiche Optionen, die Stadt als moderne Architekturmetropole zu positionieren. Leider werden diese Optionen nicht oder in mediokrer Qualität genutzt – bestes Beispiel ist die Donauplatte, die angesichts der gescheiterten Weltausstellung eine ideale Spielwiese für spannende Architektur geboten hätte, aber heute nur aus uninspirierten Zweckbauten besteht.

Wir sollten uns jedenfalls zutrauen, auch im 21. Jahrhundert einen Städtebau zu betreiben, der in 50 oder 100 Jahren eines Weltkulturerbestatus würdig ist. Eine ernsthafte kulturpolitische Debatte muss sich aber der Frage der Bedeutung des Welterbes für Wien unabhängig von Einzelprojekten intensiv annehmen. Im Vorbeigehen den Verlust des Welterbes in Kauf zu nehmen ist weder verantwortungsvoll noch ehrlich. Lassen wir die Bürgerinnen und Bürger entscheiden! (Erhard Busek, Beate Meinl-Reisinger, 15.2.2017)