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Das Welt-Presse-Foto des Jahres 2017 zeigt das Attentat auf den russischen Botschafter in Ankara im Dezember 2016 – fotografiert von Burhan Ozbilici für die Nachrichtenagentur AP.

Hinweis: Das hier gezeigte Bild stammt aus der Reihe, die auch in der Kategorie "Spot News – Stories" mit dem ersten Platz ausgezeichnet wurde. Auf dem World Press Photo 2017 ist der ermordete Botschafter wesentlich deutlicher zu sehen.

Foto: Ap photo/burhan ozbilici

Wien – "Meine Kamera und meinen Laptop habe ich immer dabei", sagt Burhan Ozbilici von der Nachrichtenagentur AP, "um jederzeit arbeiten zu können". So war es auch am Abend des 19. Dezember 2016, als der Fotograf in Ankara zu einer Fotoausstellung ging. Von der Veranstaltung habe er über einen Freund erfahren. Er sei nur dort gewesen, weil er in der Nähe wohne, rekapituliert er in einem Interview jene Minuten, die den russischen Botschafter in der Türkei das Leben kosteten. Wegzurennen sei keine Option gewesen, sagt Ozbilici, womöglich wäre er dann selbst erschossen worden, so habe er einfach fotografiert: "Wäre ich getötet worden, wären wenigstens Fotos da."

Ozbilici hat überlebt, und seine Fotos wurden am Montag mit dem renommierten World Press Photo Award ausgezeichnet. Er gewann in der Kategorie "Spot News – Stories", aus dieser Reihe kommt auch das Pressefoto des Jahres. Zu sehen ist der Attentäter, der in einer Geste des Triumphes den linken Zeigefinger in die Höhe streckt, in der rechten Hand hält er die Pistole, mit der er kurz zuvor den russische Botschafter erschossen hat. Die Leiche liegt daneben. Der Angreifer war ein türkischer Polizist. Er wurde von Sicherheitskräften erschossen.

Jury: "Explosiv" und "unglaublich schonungslos"

Warum es unter 80.000 von 5.000 Fotografen aus 125 Ländern eingesandten Bildern zum Pressefoto des Jahres auserkoren wurde, begründet die Jury damit, dass es "explosiv" und "unglaublich schonungslos" sei. Eine Argumentation, die noch immer für Diskussionen sorgt: Von "Heroisierung" einer schrecklichen Tat sprechen die Kritiker, für die Befürworter ist es eine wichtige Manifestation von Zeitgeschichte, die Terror dokumentiert, wie er ist: grauenvoll.

Zu den Kritikerinnen gehört Fotoexpertin Petra Bernhardt. Sie findet die Entscheidung der Jury "problematisch": "Sowohl nach journalistischen als auch nach ästhetischen Kriterien hätte es preiswürdigere Fotos gegeben", sagt Bernhardt, die an der Universität Wien visuelle Kommunikation lehrt. Sie verstehe zwar, dass der Fotograf von Kollegen gefeiert werde, aber: "Die Diskussion um die außergewöhnliche Relevanz des Bildes für den Fotojournalismus erscheint mir allerdings etwas aufgesetzt."

Enorme Aufmerksamkeit für den Attentäter

Was in der Debatte zu kurz komme, seien die Wirkungspotenziale dieses Fotos: "Der Attentäter bekommt enorme Aufmerksamkeit für seine Tat – nicht zuletzt wegen der einprägsamen Pose im Moment des Triumphes", so Bernhardt zum STANDARD. "Man wird sich sein Gesicht merken, nicht das des Opfers." Sie befürchtet, dass damit eine problematische Botschaft an potenzielle Attentäter ausgesandt werde: "Sucht euch einen ungewöhnlichen Schauplatz für eure Tat und inszeniert euch entsprechend, dann erledigen die Mechanismen der Aufmerksamkeitsökonomie den Rest."

Die Siegerfotos des World Press Photo Awards werden nach Angaben von World Press weltweit in 100 Städten, darunter auch Wien, und 45 Ländern gezeigt und erreichen laut Angaben der Veranstalter rund vier Millionen Menschen pro Jahr. "Dazu kommen ein umfangreiches Begleitprogramm zu den Ausstellungen wie etwa Diskussionsrunden sowie – in zeitlicher Nähe zur Preisverleihung – eine durchaus bemerkenswerte mediale Berichterstattung", so Bernhardt über die Breitenwirkung.

Sie vermutet, dass die Jury mit dem Siegerfoto die Diskussion nach ethischen Standards der Herzeigbarkeit befeuern wollte, denn: "Die Frage, ob dem Publikum angesichts der weltpolitischen Lage nicht deutlich 'härtere' Fotos zugemutete werden sollten, bestimmt ja schon länger die Debatte über die Bedeutung von Fotojournalismus."

"Nachbrennfaktor im Auge"

Für die falsche Wahl hält das Foto auch der langjährige "Geo"-Chefredakteur Peter-Matthias Gaede. In einem Gastbeitrag im Branchenmedium "meedia.de" erläutert er auch, warum: "Wenn das World Press Photo des Jahres ein Symbolfoto unserer Zeit sein soll – wieso muss es dann ein Bild des Todes sein? Ja, es wird gestorben. Aber es gibt zum Beispiel auch das in unserer Zeit: Mut. Und es gibt das in unserer Zeit: Zivilcourage." Und: "Wieso müssen wir zu den Protagonisten unserer Zeit die Mörder machen? Wieso nicht jene, die noch zivil aufstehen und aufbegehren? Und was wohl hat den größeren Nachbrennfaktor im Auge, dann in Hirn und Herz des Betrachters? Das Bild eines kurz darauf erschossenen Attentäters?"

Presserat: Video und Fotos sind "Grenzfälle"

DER STANDARD und andere Medien wie etwa die "Süddeutsche Zeitung" nahmen von der Veröffentlichung des Fotos Abstand, weil sie auch aus Rücksicht auf Angehörige und Leser keine Bilder mit Leichen zeigen und Opfer auch nach ihrem Tod noch Würde und Persönlichkeitsrechte haben. Die "Süddeutsche" begründete ihre Entscheidung so: "Die 'SZ' hat sich dazu entschieden, das Foto nicht zu zeigen, um keinen jubelnden Mörder abzubilden und die Würde des Opfers zu wahren."

Als "Grenzfälle" stuft das Bildmaterial der Österreichische Presserat ein. Die Veröffentlichung eines Videos und der Fotos, auf denen das Attentat zu sehen ist, sei "gerade noch medienethisch zulässig", informierte das Selbstkontrollorgan am Dienstag in einer Aussendung. (Oliver Mark, 17.2.2017)