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Auf englischen Friedhöfen wie jenem in Harmondsworth im Westen von London treffen sich Tradition und Moderne.

Foto: REUTERS/Eddie Keogh

Trauerfeiern sind überall gleich, eben traurig. Dennoch gibt es natürlich auch auf den Friedhöfen kleine Unterschiede, die etwas übers Land aussagen. Dass die Engländer einerseits an würdigen Traditionen festhalten, andererseits technischem Fortschritt nicht abgeneigt sind, lässt sich auch an ihrem Umgang mit den Toten studieren.

Zu den bewahrenswerten Traditionen gehört, finde ich, wenn Angehörige und Freunde der Verstorbenen den Sarg mit den sterblichen Überresten auf ihren Schultern in die Friedhofskapelle tragen. Freilich muss man damit rechnen, dass die heutigen Menschen diese Art von letztem Freundschaftsdienst nicht mehr häufig leisten. Umso wichtiger sind klare Anweisungen.

Ich erlebte das neulich auf dem Wanstead-Manor-Friedhof in Ostlondon mit: Acht Freunde des Toten, allesamt erkennbar unvorbereitet, zudem unterschiedlich hoch gewachsen, wurden vom Bestatter robust eingewiesen. Mag die Aufgabe auch delikat sein – die mit lauter Stimme vorgetragenen Kommandos ließen an Klarheit nichts zu wünschen übrig. Der Mann sah aus und klang, als habe er eine Karriere als Schleifer auf dem Kasernenhof hinter sich.

Bunt ist das neue Schwarz

Hingegen ist eine andere Tradition am – ähem – Aussterben. Ich meine die Gewohnheit der dunklen Kleidung, mit der die Trauernden ihren Verlust auch nach außen hin zu dokumentieren pflegten. In England gehört man damit zu einer kleiner werdenden Minderheit. Immer häufiger lautet die Aufforderung ganz ausdrücklich: Tragt Buntes, verbreitet Frohsinn! Statt des schroffen "Mitten im Leben sind wir vom Tod umfangen" erklingen fröhliche Popmelodien, in denen vorsichtshalber vom Sterben nicht die Rede ist. Wer den verordneten Frohsinn nicht teilt, soll wohl im stillen Kämmerlein weinen.

Neulich in Ostlondon herrschte auch am Grab Modernität. Kaum hatte die Witwe ein paar Schaufeln Erde in die Tiefe geworfen, schaltete der Friedhofsgärtner schon seinen Kleinbagger an. Fortan stand die Beerdigungsgemeinde zehn Minuten lang in den Dieselschwaden und schaute zu, wie sich das Grab füllte. Ich lugte vorsichtig herum: Würden die Engländer das auch so merkwürdig finden wie ich?

Fehlanzeige – niemand zuckte mit der Wimper. Immerhin: Als die Totengräber ihre Baggerei beendet hatten, konnten wir noch selbst die mitgebrachten Kränze und Blumen aufs Grab legen, dazu ein gemeinsames Lied singen. Und am kalten Buffet beim Leichenschmaus herrschte der gleiche Andrang wie in der Heimat. Irgendwie tröstlich. (Sebastian Borger aus London, 20.2.2017)