Der österreichische EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn gehört zu jenen sehr wenigen westlichen Politikern, die nicht Blitzbesuche auf dem Balkan bei überschäumend freundlichen Gastgebern samt gelungenen Fototerminen absolvieren. Dieser ständige Gesprächspartner der Balkanpolitiker verglich kürzlich in einem Gespräch mit den Korrespondenten der Welt die Lage in den Staaten Exjugoslawiens mit einer "Pfanne voller Öl: ein Streichholz – und alles steht in Flammen."

Das deutsche Blatt behauptete anschließend in einer großen Reportage, dass es trotz der Schließung der Balkanroute für Flüchtlinge in vier Staaten, nämlich in Serbien und Kosovo, Bosnien und Mazedonien, brodelt: Das sind die gefährlichsten Brandherde Europas. Handelt es sich nur um die Klischees, die sich so oft mit dem Begriff Balkan und Balkanisierung herablassend verbinden? Für Bismarck war diese Region "nicht die Knochen eines einzigen pommerschen Grenadiers" wert. Der deutsche Kanzler, obwohl auf dem Berliner Friedenskongress 1878 als "ehrlicher Makler" Geburtshelfer von Serbien, Montenegro und Rumänien, hielt nicht viel von der Schaffung kleiner Nationalstaaten für "Hammeldiebe". Karl Marx sprach von "ethnischem Müll". Zu Recht erhob die bulgarische Historikerin Maria Todorova in ihrem anregenden Buch Die Erfindung des Balkans (Darmstadt, 1999) den Vorwurf, der Westen pflege diese negativen Klischees, um der eigenen Zivilisation Selbstbestätigung zu verschaffen. (Übrigens hatte sie den von den Politikern leider immer häufiger benützten Ausdruck "Westbalkan" als eine "völlige Idiotie" kritisiert!)

Fast gleichzeitig mit dem alarmierenden Welt-Artikel stellte der Balkankorrespondent der NZZ fest: "Die Rede vom Balkan als Pulverfass ist falsch – Gefahr droht der Region von außen." Er verwies auf die Schwächung der EU als Ordnungsmacht mit dem Beitrittsversprechen für die Balkanländer als Ansporn für ihre Wandlung zu demokratischen Rechtsstaaten. Sodann betonte er die Einmischung Russlands und der Türkei in der Region. Dazu kommt ein irrlichternder US-Präsident, dessen Unberechenbarkeit die amerikanische Schirmherrschaft vom Kosovo im Konflikt mit Serbien gefährden könnte.

Weniger überzeugend ist allerdings der NZZ-Hinweis, dass der Balkan "eine der am besten berechenbaren und sichersten politischen Landschaften" sei. Im Gegenteil: Nirgendwo in Europa findet sich solch ein auch historisch gewachsener Hader und Hass. Statt eines demokratischen Aufbruchs kam es nach 1991 zu vier Jugoslawienkriegen, die 200.000 Tote forderten und Millionen Vertriebene.

Angesichts der Krise der EU infolge des Brexits und der nationalpopulistischen Bedrohungen in Frankreich und den Niederlanden bleibt die Mitgliedschaft für die absehbare Zukunft keine verfügbare Option. Die Träume von "Groß-Serbien" und "Groß-Albanien" lassen sich von populistischen Verführern jederzeit wieder aktivieren. Die einfache Schließung der Grenzen bei gleichzeitiger Heuchelei über die Perspektive auf eine EU-Mitgliedschaft, ohne konkrete Übergangsprojekte, verschärft die Gefahren von innen und von außen auf dem Balkan. (Paul Lendvai, 20.2.2017)