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Österreich hat gute Voraussetzungen, den Weg der allgemeinen Digitalisierung mitzubestimmen. Dafür brauchte es allerdings mehr politischen Mut und vor allem Tatkraft.

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Am Anfang war das Wort und ein Kanzler, der es aussprach: "Wer heute keine Visionen hat, braucht einen Arzt." So änderte Christian Kern das bekannte Zitat von Helmut Schmidt und Franz Vranitzky ab. In seiner Rede zum "Plan A" sprach er von Innovation, Forschung und Exzellenz an Universitäten. Dies sollten die Schritte eines "New Deals" für Österreich sein.

Mehr Geld, mehr Mint

Viele dieser Punkte sind für die Universitäten hierzulande nicht neu und dringend notwendig: Mint-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) an Schulen und Unis unterstützen. Start-ups fördern, die Quote für Forschung und Entwicklung sowie das Budget für Unis erhöhen. Die besten Unis sollten in den diversen Rankings vorn stehen und sich noch stärker internationalisieren. Strukturen (Kern nennt sie Cluster) müssen entstehen, die die Forschung an den Unis zusätzlich fördert und mit innovativen Unternehmen eng verknüpft. All das ist bei Kern nachzulesen. Ein Lichtblick, dachten wir beim Durchblättern des seitenstarken Konzepts.

Die digitale Transformation unserer Gesellschaft (und nicht nur der Wirtschaft) beginnt nicht gerade, sie ist voll im Gang. Nicht umsonst kann man ja fast formulieren: "So langsam wie heute verändert sich die Welt nie wieder." Neue Technologien wie Internet of Things, Industrie 4.0, Cyber Physical Systems, Data Intelligence usw. offenbaren nach und nach ihre Dynamik, die Artefakte der Informatik (Systeme und Methoden) werden zum Betriebssystem unserer Gesellschaft, ohne sie funktioniert nichts mehr.

Soziotechnisches System

Sie bewirken die uns alle betreffenden Veränderungen und stellen damit Fragen nach (Weiter-) Bildung und Arbeitsmarkt. Aber vor allem und vornehmlich sind diese Entwicklungen mit wichtigen Forschungsfragen und Entwicklungsaufgaben in der Informatik und an den Schnittstellen der Informatik verbunden. Man denke nur an die Zuverlässigkeit komplexer verteilter Systeme oder an entsprechende Systemdesignmethoden oder: Wie sieht ein zukünftiges "soziotechnisches" System aus, das dem Einzelnen ermöglicht, die subjektiv erfahrene Beschleunigung zu steuern.

Österreich verfügt in diesem Kontext über ein wirkliches Innovationspotenzial. Unsere Universitäten sind nicht schlecht positioniert. Start-ups bringen neue Dynamiken ins Feld. Umso wichtiger ist es jetzt, weiterzudenken. Wo werden wir in zehn Jahren stehen? Wollen wir einfach Nutzer "fremder" Technologien sein oder entwickeln wir sie lieber selber? Wollen wir die Welt mitgestalten? Wie diese morgen aussieht, entscheidet die Forschung heute. Und hier spielen Universitäten und ihre Forscher eine wichtige Rolle, sie verbinden nämlich Forschung und Lehre und auch Innovation.

Digitales Manifest

Ein Blick zu unseren Nachbarn spricht Bände und zeigt, dass es anders geht: In der Schweiz legten 50 Visionäre ein "digitales Manifest" vor und riefen die Politik auf, zwei Milliarden Franken (umgerechnet etwa 1,8 Milliarden Euro) in den nächsten zehn Jahren für Wissenschaft und Bildung zu investieren. Die selbsternannten "Digital Shapers" wollen die Schweiz mit ihrem Manifest an die Spitze der digitalen Transformation bringen. Seitens der Politik wurden ihre Vorschläge mit offenen Armen empfangen. Mit Unterstützung der Industrie werden nach und nach 100 neue Professuren in der Informatik und an der Schnittstelle zur Informatik geschaffen.

Riesensprünge verzeichnet auch Berlin. Dort werden gerade 50 neue Informatikprofessuren für das globale Wettrennen ausgeschrieben. Und Hamburg zieht aktuell mit 35 neuen Informatikprofessuren nach. Diese neuen Stellen und die Weiterführung der deutschen Exzellenzinitiative für Universitäten werden Konsequenzen haben. Wir laufen Gefahr, unsere besten Wissenschafter zu verlieren, andere scheinen ihnen bessere Karrierechancen zu bieten. Uns könnte ein Braindrain der IT-Spitze bevorstehen.

Auch in Österreich wird – zumindest verbal – die Bedeutung der digitalen Transformation unterstrichen, und es ist eine Art Aufbruchsstimmung zu bemerken. Allerdings stehen wir im Moment wie am Rande eines Grabens, bereit dazu, nicht nur auf die Vorreiter im Nachbarland zu blicken, sondern selbst Brücken zu bauen. Doch dafür braucht es den entsprechenden Rückenwind und Ressourcen.

Wenig "New Deal"

Mit den Ankündigungen der Politik (Plan A des Bundeskanzlers oder digitale Roadmap der Bundesregierung) fühlten wir diesen Wind aufziehen. Doch nun liegt uns ein Regierungsprogramm vor, das nur noch wenig mit dem erhofften "New Deal" für Universitäten zu tun hat: Digitalisierung wird fast mit Fußfesseln und elektronischer Überwachung verwechselt. Ideen, die Universitätsbudgets zu erhöhen, um notwendige Stellen für die Forschung wie im Ausland zu schaffen oder die wichtige Frauenförderung in der Informatik voranzutreiben, sucht man vergebens. Auch von einer Exzellenzinitiative wie in Deutschland ist keine Rede mehr. Abseits des wichtigen Themas Studienplatzfinanzierung werden damit drängende Entscheidungen offengelassen. Hat unsere Regierung ihren Mut verloren?

Mut ist gefragt

"Veränderung ist so eine Sache. Sie ist notwendig, aber sie macht auch Angst", sagte Bundespräsident Alexander Van der Bellen kürzlich bei seiner Angelobung. Umso mehr brauchen wir Mut und Optimismus. Wir sollten Anreize schaffen, die besten Informatiker nach Österreich zu locken und sie langfristig hier zu behalten. Nur sie können Forschung, Lehre und Innovation nachhaltig vorantreiben und in der Schlüsselposition zwischen Industrie und Wissenschaft Projekte umsetzen.

Investieren wir jetzt nicht in exzellente Lehre und Forschung, werden wir uns in zehn Jahren fragen, warum Österreich trotz seines Potenzials mit Deutschland und der Schweiz nicht Schritt halten konnte. (Hannes Werthner, 20.2.2017)