Bakir Izetbegović, Vertreter der Bosniaken im Staatspräsidium.

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Der Großmufti und der ehemalige Großmufti, die Chefs der bosniakischen Parteien, die wichtigsten Politiker, der ehemalige General, kurzum die religiösen und politischen Vertreter der bosnischen Muslime mit Rang und Namen kamen am Freitag ins alte Rathaus in Sarajevo, um die heikle Angelegenheit zu besprechen. Das alte Rathaus, das im Krieg (1992–1995) durch den Beschuss der bosnisch-serbischen Armee von den Hügeln rund um Sarajevo herab fast zur Gänze zerstört worden war, wird nur für wichtige Anlässe genutzt. Um einen solchen ging es.

Bakir Izetbegović, der Chef der größten bosniakischen Partei und Mitglied des dreiköpfigen Staatspräsidiums, ließ sich von den anderen Bosniaken-Vertretern das Placet geben, vor dem Fristablauf am 26. Februar gegen ein Urteil des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag Berufung einzulegen. Es geht um eine Entscheidung aus dem Jahr 2007, die besagt, dass der Staat Serbien zwar nicht für den Genozid an Muslimen 1995 in Srebrenica verantwortlich ist, sehr wohl aber dafür, diesen Genozid nicht verhindert zu haben.

Nicht ausreichend Beweise

Das Gericht urteilte, dass es nicht ausreichend Beweise gebe, dass bosnisch-serbische Kräfte, die den Genozid durchgeführt hatten, damals unter der Kontrolle oder Direktive Serbiens standen. Deshalb könne Serbien nicht zu Entschädigungszahlungen herangezogen werden. Rund um Srebrenica wurden im Juli 1995 etwa 8000 vorwiegend männliche Personen mit muslimischen Namen ermordet.

Es handelte es sich um ein systematisch geplantes Massenverbrechen, das begangen wurde, um einen Teil des Landes "ethnisch zu säubern" und später an Serbien anzuschließen. Die ethnischen Säuberungen begannen bereits 1992. 81 Prozent aller getöteten Zivilisten (insgesamt über 38.000) im Bosnienkrieg hatten bosniakische, elf Prozent serbische und sieben Prozent kroatische Namen. Das Urteil des IGH im Jahr 2007 hatte viele Bosniaken nicht zufriedengestellt. Izetbegović meinte nun, es gäbe neue Beweise für die Mitverantwortung Serbiens.

Besorgnis in Serbien

So habe der Prozess gegen den ehemaligen General der bosnisch-serbischen Armee, Ratko Mladić, gezeigt, dass "mehrere Tausend Offiziere der Armee Jugoslawiens am Völkermord beteiligt waren und das Milošević-Regime logistisch hinter dem Genozid gestanden" sei. Aktivisten rollten am Freitag in Sarajevo ein Banner aus, auf dem zu lesen war: "Es ist zwingend, Serbien zu verurteilen."

In Serbien wurde das Berufungsvorhaben mit Besorgnis aufgenommen. Premier Aleksandar Vučić meinte, dass die Wiederaufnahme des Verfahrens den Beginn schwieriger Beziehungen zwischen Serbien und Bosnien bedeute und dass Bosnien mehr zu verlieren habe als Serbien. Tatsächlich nehmen auch Rechtsexperten an, dass die Berufung zurückgewiesen werden könnte.

Desaströs für Beziehungen

Im bosnischen Landesteil Republika Srpska, in dem Srebrenica heute liegt und in dem mehrheitlich bosnische Serben leben, sorgt das Vorhaben der bosniakischen Eliten für Empörung. Sämtliche bosnisch-serbische Parteien wollen die Berufung verhindern. Vergangene Woche haben bosnisch-serbische Parlamentarier wegen der Causa bereits die Parlamentsarbeit boykottiert. Der serbische Vertreter im Staatspräsidium, Mladen Ivanić, warnte vor einer schweren politischen Krise und meinte, dass die Berufung für die interethnischen Beziehungen desaströs sei.

Die Beziehungen zwischen den beiden Landesteilen, der Republika Srpska (RS) und der Föderation, sind ohnehin angespannt. Im September hatte der Präsident der RS, Milorad Dodik, ein verfassungswidriges Referendum für einen verfassungswidrigen Feiertag abgehalten und damit einen weiteren Schritt zur Desintegration des Staates gemacht. Dodik will eine Sezession der RS von Bosnien-Herzegowina. Er hat sich auch dafür ausgesprochen, die RS später an Serbien anzuschließen.

Zukunft riskieren

Nun warnte Dodik davor, dass Izetbegović mit der Berufung die Zukunft von Bosnien-Herzegowina aufs Spiel setze. "Wenn die Bosniaken wollen, dass Bosnien-Herzegowina erfolgreich ist, müssen sie verstehen, dass es auch eine serbische Bevölkerung gibt", so Dodik. Das Berufungsvorhaben von Izetbegović wird von Beobachtern als Retourkutsche für Dodiks Referendum betrachtet.

Andere sehen eine innenpolitische Motivation. Denn Izetbegović ist in der eigenen Partei SDA unter Kritik und muss um seinen Machterhalt fürchten. Unklar ist auch, ob er als nur einer von insgesamt drei Staatspräsidenten überhaupt berechtigt ist, die Berufung einzuleiten. Außenminister Igor Crnadak, ein Serbe, meinte, Izetbegović könne gar nicht im Namen des Staates Bosnien-Herzegowina agieren. Vielmehr sei er als Außenminister dafür zuständig. (Adelheid Wölfl aus Sarajevo, 21.2.2017)