London – Am Montag hat das Londoner Oberhaus seine Detailberatungen über das Brexit-Gesetz der Regierung begonnen. Für die zahlreichen EU-Freunde in der ungewählten Parlamentskammer geht es um zwei Kernanliegen, mit denen ihre Gesinnungsgenossen im Unterhaus gescheitert waren. Zum Einen soll Westminster über den von der Regierung ausgehandelten Deal mit Brüssel abstimmen dürfen. Zum Anderen verlangen sie Bleibe-Garantien für die rund drei Millionen Bürger anderer EU-Staaten, die auf der Insel leben und arbeiten. "Wir werden der Regierung keinen Blankoscheck ausstellen", warnte Labour-Fraktionschefin Angela Smith.

Für die konservative Regierung wiederholte Natalie Evans die bereits im Unterhaus vorgebrachte Argumentation: Das Parlament werde in den kommenden zwei Jahren reichlich Gelegenheit dazu haben, über die Einzelheiten der Scheidung zu beraten. "Dieses Gesetz ist dazu nicht geeignet." Tatsächlich enthalten die zwei Absätze lediglich die Autorisierung für Premierministerin Theresa May, den Austritt nach Artikel 50 des Lissabon-Vertrages einzuleiten. Demonstrativ nahm die Regierungschefin auf einer für Unterhausabgeordnete reservierten Bank Platz, um den Auftakt der Debatte in der benachbarten Kammer mitzuerleben.

Peinliche Verzögerung

Zwei Tage will die gesamte Kammer mit ihren 805 Mitgliedern der Gesetzgebung widmen, kommende Woche soll es dann in Fachkomitees weitergehen. Den politischen Gepflogenheiten auf der Insel zufolge kann das Oberhaus Vorlagen der gewählten Kammer abändern oder gänzlich zurückweisen. Beides würde nur zu einer Verzögerung führen; am Ende setzt sich stets das Unterhaus mit einem letzten Votum durch. Im konkreten Fall wäre eine längere Verzögerung allerdings peinlich für das Kabinett, schließlich will die Regierung bis Ende März die Austrittsmitteilung in Brüssel hinterlegen.

Dieser Zeitplan gilt als ungefährdet, weil das Unterhaus die Regierungsvorlage ohne Änderung beschlossen hat. Der ungeschriebenen Verfassung zufolge kann das Oberhaus deshalb zwar Änderungen beschließen, aber die Vorlage nur einmal an die gewählte Kammer zurücksenden. Damit wird in Regierungskreisen gerechnet: Beide Änderungsanträge gelten als aussichtsreich, weil das Oberhaus ein klares Signal an die Downing Street senden will. Zudem sind die Konservativen mit 252 Fraktionsmitgliedern in der Minderheit.

Drohungen

Die Labour-Opposition machte deutlich, dass sich die Peers einem zweiten Votum der Volksvertreter nicht widersetzen wollen. "Wir werden das Gesetz nicht blockieren", teilte Fraktionschefin Smith mit. Damit will die Opposition eine Verfassungskrise vermeiden. Regierungsvertreter und die fanatischen EU-Feinde auf den konservativen Hinterbänken haben bereits düstere Drohungen ausgestoßen: Sollten Lords und Ladys bisherige Gepflogenheiten verwerfen und der Regierung in den Arm fallen, werde umgehend die Abschaffung der mehr als 800 Jahre alten Institution auf die Tagesordnung kommen.

Für die Debatten haben sich 191 Mitglieder in die Rednerliste eingetragen. Die meisten dürften den geplanten harten Brexit der Regierung ähnlich kritisch bewerten wie Dutzende prominenter Geschäftsleute, Wissenschaftler und Ex-Diplomaten, deren Leserbrief am Montag die Times abdruckte. Sie pochen auf eine Änderung der Gesetzgebung dahingehend, dass die Parlamentarier der Regierung einen Kurswechsel in den Austritts-Verhandlungen aufzwingen können. Sollte May einen "unpatriotischen Brexit" anpeilen, müsse notfalls auch der Verbleib im Brüsseler Club wieder auf die Tagesordnung, glauben Prominente wie die Entwicklungsexpertin Bianca Jagger oder der frühere UN-Spitzendiplomat Mark Malloch Brown. (Sebastian Borger aus London, 20.2.2017)