Wien – 1953 drohte der Sozialismus Österreich als rote Spinne zu umklammern. "Erkennt die Gefahr, wählt ÖVP", plakatierte die Volkspartei zum entsprechenden Sujet, das die Österreicher zwei Jahre vor dem Ende der Besatzungszeit dazu motivieren sollte, Schwarz statt Rot zu wählen.

Dunkle Szenarien in den 1950ern: Die ÖVP warnt 1953 vor der roten "Gefahr" (links), die SPÖ im gleichen Jahr vor dem "Diktat" der ÖVP (Mitte). 1959 ruft die SPÖ die Wähler auf, für "Gleichgewicht" zu sorgen.
Foto: ÖVP/SPÖ

60 Jahre später pflanzt Grünen-Chefin Eva Glawischnig "bio. Keine Leute. Saubere Umwelt, saubere Politik. Gemeinsam schaffen wir das." Das Plakat ist Teil eines hochprofessionellen Wahlkampfs, des ersten mit bundesweit einheitlichem Design und Bildsprache. Die Plakate der Grünen stellen das Positive und zum Teil die Parteichefin in den Vordergrund. Manchen Grünen sind sie damals zu soft, sie kritisieren sie als "weichgespült".

929 Plakatsujets analysiert

Die beiden Plakate liegen im Trend, den die Politikwissenschafterin Lore Hayek in ihrer Dissertation "Design politischer Parteien. Plakatwerbung in österreichischen Wahlkämpfen" (erschienen im LIT-Verlag, Münster) ausgemacht hat. "Die Wahlkämpfe in den 1950er-Jahren waren extrem negativ, während diese negativen Botschaften in den 1970er- und 80er-Jahren komplett verschwunden sind", sagt Hayek, die an der Uni Innsbruck lehrt und als Projektleiterin beim Klimabündnis Tirol arbeitet, zum STANDARD.

Die Grünen setzten 2013 auf Wohlfühlbilder und professionelle Gestaltung.
Foto: Grüne

Insgesamt untersuchte sie 929 Plakatsujets aus 21 Nationalratswahlkämpfen für ihre Studie. Der Wohlfühlfaktor der Wahlkampfplakate fand laut ihrer Analyse 2002 seinen Höhepunkt – in diesem Wahlkampf ordnete die Wissenschafterin kein einziges Plakat als negativ ein.

Negative Campaigning ausgelagert

Was freilich nicht heißt, dass die österreichischen Wahlkämpfe insgesamt nach den Prinzipien "Friede, Freude, Eierkuchen" und "Möge der Bessere gewinnen" ablaufen: Nach Hayeks Einschätzung werden Angriffe auf den politischen Mitbewerb schlicht auf andere Werbemittel ausgelagert, zählt die Außenwerbung doch zu den teuersten Werbeformen. "Wenn ich so viel Geld für Plakatflächen ausgebe, möchte ich das natürlich eher zur Präsentation der eigenen Vorzüge nutzen", sagt Hayek. Das klassische Negative Campaigning laufe heute eher über Presseaussendungen und soziale Medien, wo innerhalb von Minuten reagiert werden kann und muss.

Negative Campaigning war 1949 weit verbreitet.
Foto: ÖVP

Die Wahlkampfplakate österreichischer Parteien wurden aber seit 1945 nicht nur positiver, sondern auch persönlicher: Standen bis Mitte der 1960er-Jahre noch stets Parteiname und Listenplatz im Vordergrund der Plakatkampagnen, wurden danach immer öfter die Spitzenkandidaten genannt, abgebildet oder sogar zum Thema der Kampagne gemacht. "Die steigende Personalisierung der Wahlkämpfe liegt im internationalen Trend", sagt Hayek.

"Einfach ehrlich, einfach ..."

Spitzenreiter beim Hervorheben des Kandidaten war die FPÖ im Nationalratswahlkampf 1994: "Sie sind gegen ihn, weil er für euch ist. Einfach ehrlich, einfach Jörg." Ein Parteilogo fehlt auf dem Plakat völlig. Dem nahe kommt nur die ÖVP-Kampagne 2002 mit Wolfgang Schüssel ("Wer, wenn nicht er"). Slogans, die wegen des starken Fokus auf die Kandidaten in den Köpfen der Wähler bis heute mit Haider und Schüssel verknüpft sind.

Die Personalisierung auf die Spitze getrieben: 1994 fehlte die Partei auf FPÖ-Wahlplakaten völlig.
Foto: FPÖ

Wie jeder Trend bleibt auch dieser nicht ohne Ausnahmen: "Es gibt auch in späteren Wahlkämpfen einen niedrigen Personalisierungslevel", sagt Hayek, "wenn die Partei zum Beispiel blöderweise gerade einen ziemlich unattraktiven Spitzenkandidaten hatte." 2008 habe die ÖVP etwa ihren Kandidaten Wilhelm Molterer "bis zur dritten Plakatwelle ziemlich versteckt".

Ein Big Mac verkauft sich leichter als eine Partei

Obwohl ein großer Brocken der Wahlkampfbudgets der Außenwerbung zufällt, vermisst Hayek mitunter Professionalität in diesem Bereich – gemessen etwa daran, dass die (möglichst wenigen) Wörter auf dem Plakat auch einen Bezug zum Foto haben. Zwar erkannte die Forscherin einen Trend zu professionellen Plakaten, je später die Wahlkämpfe stattgefunden haben – einen nachvollziehbaren Zusammenhang mit den vielen Schwankungen konnte sie aber nicht feststellen. "Es sind oft nicht besonders rationale Faktoren, die so einer Wahlkampfstrategie zugrunde liegen", sagt Hayek.

Insgesamt sei "eine politische Partei weniger leicht zu verkaufen als ein Big Mac", weil sie weniger leicht zu vermarktende, wenn überhaupt konsistente Eigenschaften hat.

Ein Slogan, der bis heute mit Ex-Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) verbunden ist: "Wer, wenn nicht er."
Foto: ÖVP

Plakate als feste Größe

Bleibt die Frage: Welche Bedeutung haben Wahlplakate überhaupt und ganz besonders in Zeiten, in denen jede Partei potenzielle Wähler mittels gezielt eingesetzter Online-Werbung erreichen kann? In einer Befragung zur Nationalratswahl 1999 gaben nur drei Prozent der befragten Wähler an, dass Wahlplakate ihre Wahlentscheidung beeinflusst hätten. Allerdings: 87 Prozent haben Wahlplakate gesehen. Die hohe Plakatdichte in Wahlkampfzeiten mache es laut Hayek "praktisch unmöglich, nicht mitzubekommen, dass eine Wahl ist – wenn man nicht gerade im hintersten Dorf wohnt". Nicht zuletzt für Parteifunktionäre seien sie eine relevante Größe, die die Zeit des "Laufens" für die Partei einläute. Hayek ist sich sicher: "Das wird bei uns schon noch eine Weile Bestand haben." (Sebastian Fellner, 24.2.2017)