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Proteste gegen Präsident Trump in den USA: Die weniger Wohlhabenden proben den Aufstand gegen seine neuen Initiativen gegen Kriminalität.

Foto: APA/AFP/GETTY IMAGES/SCOTT OLSON

In gerade einmal einem Monat hat es US-Präsident Donald Trump geschafft, in schwindelerregendem Tempo Chaos und Unsicherheit – und ein Ausmaß an Furcht, das jeden Terroristen mit Stolz erfüllen würde – zu verbreiten. Es überrascht nicht, dass sich Bürger und Unternehmensführer, Zivilgesellschaft und Staatsapparat schwertun, angemessen und effektiv zu reagieren.

Jede Meinung in Bezug auf das Kommende ist notwendigerweise vorläufig, da Trump bisher noch keine detaillierten Gesetzesvorschläge gemacht hat und Kongress und Gerichte auf sein Trommelfeuer von Präsidentenerlassen noch nicht umfassend reagiert haben. Doch ist das Anerkenntnis von Unsicherheit keine Rechtfertigung für Realitätsverweigerung.

Im Gegenteil: Es ist inzwischen klar, dass Trumps Äußerungen und Tweets ernst zu nehmen sind. Nach der Wahl herrschte eine nahezu universelle Hoffnung, dass Trump den Extremismus, der für seinen Wahlkampf kennzeichnend war, aufgeben würde. Sicher, so die Annahme, würde dieser Meister der Irrealität eine andere Persona annehmen, wenn er nun die furchteinflößende Verantwortung übernehmen würde, die mit dem häufig als "mächtigste Position der Welt" bezeichneten Amt einhergeht.

Etwas Ähnliches passiert mit jedem neuen US-Präsidenten: Unabhängig davon, ob wir für den neuen Amtsinhaber gestimmt haben oder nicht, projizieren wir unser Bild dessen, was wir uns von ihm wünschen, auf ihn. Doch während die meisten gewählten Amtsträger es begrüßen, allen alles zu sein, hat Trump keinen Zweifel gelassen, dass er beabsichtigt zu tun, was er angekündigt hat: ein Einwanderungsverbot für Muslime, eine Mauer an der Grenze zu Mexiko, die Neuverhandlung des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens (Nafta), die Aufhebung der Dodd-Frank-Finanzreformen von 2010 und vieles Weitere, das sogar seine Anhänger zurückgewiesen hatten.

Institutionen zerstören

Ich habe zuweilen bestimmte Aspekte und Politiken des im Gefolge des Zweiten Weltkrieges geschaffenen Wirtschafts- und Sicherheitssystems kritisiert, das auf den Vereinten Nationen, der Nato, der Europäischen Union und einem Netz weiterer Institutionen und Beziehungen beruht. Doch besteht ein großer Unterschied zwischen Versuchen, diese Institutionen und Beziehungen zu reformieren, damit sie der Welt besser dienen, und einem Programm, das bestrebt ist, sie komplett zu zerstören.

Trump betrachtet die Welt als Nullsummenspiel. In Wahrheit ist die Globalisierung, wenn sie denn gut gesteuert wird, eine Kraft, die in der Summe positive Ergebnisse hervorbringt: Amerika profitiert, wenn seine Freunde und Verbündeten – egal ob Australien, die EU oder Mexiko – stärker sind. Doch Trumps Ansatz droht sie in ein Negativsummenspiel zu verwandeln, bei dem auch Amerika verlieren wird.

Dieser Ansatz wurde bereits in seiner Antrittsrede klar, in der seine wiederholten Beschwörungen des "America first" mit ihren historischen faschistischen Untertönen sein Bekenntnis zu seinen hässlichsten Plänen bekräftigten. Frühere US-Regierungen haben ihre Verantwortung für die Förderung von US-Interessen immer ernst genommen. Doch die Strategien, die sie verfolgten, gründeten normalerweise auf einem aufgeklärten Verständnis des nationalen Interesses. Die Amerikaner, so glaubten sie, würden von einer wohlhabenderen Weltwirtschaft und einem Netz von Bündnissen mit Ländern, die sich für Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit engagieren, profitieren.

Wenn es einen Silberstreif am Trump-Horizont gibt, dann ist es ein neues Gefühl der Solidarität in Bezug auf Kernwerte wie Toleranz und Gleichheit, das durch ein Bewusstsein der versteckten oder offenen Bigotterie und Frauenfeindlichkeit, die Trump und sein Team verkörpern, getragen wird. Und diese Solidarität greift weltweit; Trump und seine Verbündeten stoßen überall in der demokratischen Welt auf Ablehnung und Protest.

In den USA hat die American Civil Liberties Union (ACLU), die darauf eingestellt war, dass Trump rasch Individualrechte mit Füßen treten würde, gezeigt, dass sie wie eh und je bereit ist, zentrale Verfassungsgrundsätze wie rechtsstaatliche Verfahren, Gleichheit vor dem Gesetz und religiöse Neutralität der staatlichen Organe zu verteidigen. Und im vergangenen Monat haben die Amerikaner die ACLU mit Spenden in Millionenhöhe unterstützt.

In ähnlicher Weise haben im gesamten Land Arbeitnehmer und Kunden von Unternehmen ihrer Sorge über Vorstände Ausdruck verliehen, die Trump unterstützen. Tatsächlich haben sich US-Unternehmensführer und Investoren als Gruppe zu Trumps Steigbügelhaltern entwickelt. Auf dem diesjährigen Weltwirtschaftsforum in Davos frohlockten viele über seine Versprechungen, die Steuern zu senken und die Regulierung zurückzufahren, und ignorierten dabei freudig seine Bigotterie – die in keiner Sitzung, an der ich teilnahm, erwähnt wurde – und seinen Protektionismus.

Noch besorgniserregender war der Mangel an Mut: Es war eindeutig, dass viele derjenigen, die sich über Trump Sorgen machten, Angst hatten, ihre Stimme zu erheben, damit sie (und der Aktienkurs ihrer Unternehmen) nicht zum Ziel eines Tweets würden. Furcht ist ein Kennzeichen autoritärer Regime, und wir sehen sie nun auch in den USA.

Infolgedessen hat sich die Wichtigkeit der Rechtsstaatlichkeit, die früher für viele Amerikaner ein abstraktes Konzept war, konkretisiert. Im Rechtsstaat setzt die Regierung, wenn sie Unternehmen an Outsourcing und Offshoring hindern will, Gesetze um und verabschiedet Vorschriften, um Anreize zu setzen und von unerwünschtem Verhalten abzuschrecken. Sie drangsaliert oder bedroht nicht bestimmte Firmen oder stellt traumatisierte Flüchtlinge als Sicherheitsrisiko dar.

Amerikas Leitmedien wie die New York Times und die Washington Post weigern sich bisher, Trumps Verleugnung amerikanischer Werte als normal zu akzeptieren. Es ist nicht normal, dass die USA einen Präsidenten haben, der sich gegen eine unabhängige Justiz ausspricht, Vertreter der Streitkräfte und der Geheimdienste im Zentrum der nationalen Sicherheitspolitik durch einen Fanatiker aus rechten Medien ersetzt und angesichts des jüngsten Raketentests Nordkoreas Werbung für die geschäftlichen Unternehmungen seiner Tochter macht.

Doch wenn man ununterbrochen mit Ereignissen und Entscheidungen bombardiert wird, die die normalen Grenzen sprengen, ist es einfach, abzustumpfen und anzufangen, schwerwiegenden Machtmissbrauch zu übersehen und sich auf die kommenden, noch größeren Travestien zu konzentrieren. Eine der wichtigsten Herausforderungen in dieser neuen Ära wird darin bestehen, wachsam zu bleiben und, wann und wo auch immer das nötig ist, Widerstand zu leisten. (Joseph E. Stiglitz, aus dem Englischen von Jan Doolan, Copyright: Project Syndicate, 22.2.2017)