Plovdiv/Salzburg – Seit 22 Jahren wohnt Schekir Tener Süleyman mit seiner Familie in seinem Vierzimmerhaus in Stolipinowo, einem Stadtteil der südbulgarischen Stadt Plowdiw. In dem aus Beton und Ziegeln selbstgebauten Haus lebt er mit seiner Frau und vier Kindern. Die Behörden haben der Familie Süleyman nun einen Bescheid ausgestellt. Er enthielt die Mitteilung, dass sie ihr Zuhause in 30 Tagen abreißen werden.
So wie Süleyman geht es derzeit weiteren 45 Familien. 30 Häuser sollen an der Banderiza-Straße nahe dem Ufer der Mariza abgerissen werden. Eine Ersatzunterkunft gibt es für die betroffenen Familien nicht.
"Die Leute brauchen eine Alternative, sonst wird die Wohnsituation noch schlimmer und prekärer", sagt Josef Mautner von der Plattform für Menschenrechte Salzburg. Die Plattform ist Projektpartner der Romastiftung Stolipinowo. Zusammen mit der Stadt versucht sie, auf eine Lösung für die Betroffenen zu kommen. Bisher weigerte sich die Stadt, sich auf eine Mediation einzulassen, und kündigte weitere Abrissbescheide an.
Eine der größten Roma-Communitys des Balkans
Plowdiw ist die zweitgrößte Stadt Bulgariens und wird 2019 europäische Kulturhauptstadt. Etwa 86.000 der insgesamt 367.000 Einwohner zählen zur Volksgruppe der Roma. Das Stadtviertel Stolipinowo am Südufer der Mariza ist mit 45.000 Einwohnern eine der größten Roma-Communitys auf dem Balkan. "Es ist dort eine Mischung aus einer sehr heruntergekommenen Sozialsiedlung und Slum", schildert Mautner die Situation nach einem Lokalaugenschein in Plowdiw. Es gebe auch neuere stabile Häuser, die etwa die Größe einer Garage hätten. Dort leben meist Familien mit bis zu zehn Personen. Aber der Großteil der Siedlung sind Hütten aus Wellblech und Holz.
Rechtlich sei gegen die Abrissbescheide zwar nichts einzuwenden: Die Häuser wurden ohne Bewilligung auf kommunalem Land gebaut, argumentiert die Stadt. Doch das treffe auf 90 Prozent aller Häuser in dem Viertel zu, sagt Mautner. Die Stadtverwaltung hätte diese "illegalen" Bauten auch nie beeinsprucht, sondern habe sogar Wasser-, Elektrizitäts- und Kanalanschlüsse geschaffen.
Für Schekir Tener Süleyman, unverständlich: "Ich will, dass mir jemand erklärt, warum das passiert. Warum haben sie uns dort bauen lassen und das nicht von Anfang an verhindert?"
Nachbarn beschweren sich
Aus dem Nachbarviertel, wo überwiegend Menschen der bulgarischen Mehrheitsbevölkerung wohnen, habe es Beschwerden wegen Schmutz und Lärm gegeben. "Wir sollen weg, damit diese Leute ein freies Blickfeld haben können. Es soll nicht solche Häuser und nicht so viele Roma in ihrer Nachbarschaft geben", sagt Süleyman. 200 Unterschriften hätten die Menschen aus dem Nachbarviertel beim Amt hinterlegt. "Aus deren Sicht sind wir kein schöner Anblick. Weil wir dunkelhäutige Menschen sind", sagt der Betroffene.
Solche Abrissaktionen oder "Cleanings" sind bei Romasiedlungen auf dem Balkan keine Seltenheiten. Doch viele Gemeinden oder Städte würden zumindest eine Alternative für die Betroffenen bieten. In Parwomaj bot die Stadt nach einer Mediation durch die Romastiftung den Betroffenen an, Grundstücke um 1.000 Lewa, also etwa 500 Euro, zu kaufen. Gleichzeitig sollen sie die Kosten in Raten begleichen können, erläutert Josef Mautner eine mögliche Lösungsstrategie.
Rohbauten und ausgebrannte Ruinen
Sollten die Häuser abgerissen werden, werden viele der betroffenen Familien in ausgebrannte Ruinen oder verlassene Rohbauten ziehen müssen, schildert Mautner von der Plattform für Menschenrechte. "Das sind nackte Wände ohne Heizung, Wasser und Sanitäranlagen, die dort verlassen stehen."
Das ist auch Schekir Tener Süleymans Plan: "Ich werde irgendeine Wohnung besetzen, in irgendeine leerstehende Wohnung einziehen und die herrichten." (Stefanie Ruep, 23.2.2017)