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Recep Tayyip Erdoğan – im Hintergrund ist Staatsgründer Kemal Atatürk zu sehen.

Foto: AP/Kayhan Ozer

Wien – Das Timing war perfekt: Mitte dieser Woche prangerten in Wien türkische Medienmenmitarbeiter und Medienanwälte die extreme Gefährdung ihrer Zunft in der Türkei an. Sie beschrieben die fortschreitende Gleichschaltung der Medien in der Türkei und die zunehmende Gefahr für kritische Journalisten, als "Terroristen" willkürlich inhaftiert und angeklagt zu werden. Tags darauf berichtete das Berliner Recherchezentrum "Correctiv" über Morddrohungen gegenüber türkischen Kollegen. Die Absender sind türkische Nationalisten.

Dies war kein übler Scherz irgendwelcher türkischer Früchtchen, das war eine gezielte Aktion hartgesottener Politaktivisten, die für das System Erdoğan Einschüchterungspolitik betreiben. Warum die Morddrohungen gerade an das Berliner Recherchezentrum? Ganz einfach: "Correctiv" ermöglicht dem türkischen Starjournalisten Can Dündar, im Berliner Exil eine Website in türkischer und deutscher Sprache zu betreiben.

Bericht über Waffenlieferungen

Wir erinnern uns: Dündar war Chefredakteur der traditionellen Tageszeitung "Cumhuriyet" – gegründet unter Atatürk, heute ein unabhängiges, regierungskritisches Blatt. Unter Dündars Verantwortung hatte "Cumhuriyet" in einem Artikel samt Video über türkische Waffenlieferungen an den IS in Syrien berichtet. Das war eine Berichterstattung im klassischen Sinn des investigativen Journalismus.

Prompt folgten Anzeige und Anklage wegen Spionage und der Bekanntgabe von Staatsgeheimnissen. Dündar verließ die Türkei, nachdem ein bisher noch immer Unbekannter versucht hatte, ihn vor dem Istanbuler Strafgerichtshof zu erschießen. Wir kennen das entsprechende Video. Die Frage, ob der Schütze zur Rechenschaft gezogen wurde, ist bislang unbeantwortet.

Als Dündars Frau ihrem Mann einige Wochen später nach Berlin folgen wollte, wurde ihr Pass bei der Kontrolle am Istanbuler Atatürk-Flughafen konfisziert. Dilek Dündar durfte die Türkei nicht verlassen. Sie bleibt nun in Istanbul – in "Geiselhaft".

Als "Outcast" in Berlin

Can Dündar selbst lebt inzwischen als "Outcast" in Berlin. Mit der Zeit hat er gelernt, öffentliche Taxis zu meiden. Er ist es müde und fürchtet auch, von nationalistischen türkischen Fahrern angepöbelt oder bedroht zu werden. Auch innerhalb der türkischen Mediencommunity wird er mehr und mehr zum Außenseiter. Kein Journalist, keine Reporterin wagt noch, mit ihm gemeinsam aufzutreten.

Erdoğans Schergen haben das Sagen übernommen. Sie führen nun Regie im Sinne von Terror und Angst. Nicht nur in der Türkei. Auch in Wien ist unter dem Deckmantel einer religiösen türkischen Vereinigung der türkische Geheimdienst unterwegs. Sicher waren dessen Abgesandte auch am Mittwoch bei der Pressekonferenz im Presseclub Concordia dabei.

Wie groß der Mut und zugleich die Angst jener Kolleginnen und Kollegen ist, die in Wien ihr professionelles Leben beschrieben, zeigt folgende kleine Begebenheit. Fragen an die Podiumsmitglieder mussten schriftlich vorgelegt werden. Manch einer fand das höchst seltsam. Der Grund ist jedoch leider nur zu gut nachzuvollziehen: Die Gäste aus der Türkei wollten so vermeiden, von Provokateuren überrumpelt und zu unbedachten Aussagen veranlasst zu werden.

Opernball

Während ich dies schreibe, überträgt der ORF direkt aus der Wiener Oper endlos Szenen des Opernballs. Es ist ein Fest der Schönen und Reichen, ein geniales, wunderbares Parkett für hochkarätige Netzwerker – warum auch nicht. Denken jedoch all diese glamourösen Celebritys auch an all jene Menschen, die jenseits von finanziellem Luxus und intellektueller Freiheit leben? Wie hoch ist zumindest die halbe Miete einer Opernballloge?

In der Türkei leben inzwischen mehr als 150 Medienmenschen hinter Gittern. Die Mehrzahl sind Männer, deren Frauen nun allein ihr Leben und das der gemeinsamen Kinder bestreiten müssen. Reporter ohne Grenzen Österreich ruft deshalb zu einer Spendenaktion auf, um diesen Familien wenigstens finanziell ein wenig zu helfen. (Rubina Möhring, 24.2.2017)