"Matzpen. Eine andere israelische Geschichte". Schriften des Simon- Dubnow-Instituts Band 25. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2017

Jahrzehntelang war "Matzpen" ein Schreckgespenst in Israel. "Verräter", "PLO-Agenten", "Selbsthasser". Die 1962 gegründete Organisation, die unter dem Namen ihrer Zeitschrift (Matzpen heißt Kompass) bekannt wurde, entstand aus einer Abspaltung von der KP Israels. Es ging zunächst um innerparteiliche Demokratie und Fragen der kommunistischen Weltbewegung, bald aber auch um die Rolle der Partei bei der Staatsgründung.

Auf Geheiß der Sowjetunion wurde die Teilung Palästinas (1947/1948) befürwortet und der israelische Unabhängigkeitskrieg unterstützt. Für die Partei hatte die "Nakba" (Katastrophe), die die Palästinenser betreffende ethnische Säuberung, einen geringeren Stellenwert als die bald erfolgte Westbindung des Staates.

Koloniales Erbe

Demgegenüber knüpfte Matzpen an die vorstaatliche kommunistische Kritik des Zionismus an und entwickelte eine Einschätzung, die besonders nach dem Sechstagekrieg (1967) virulent wurde. Denn sie sah im Konflikt nicht den Zusammenprall zweier legitimer nationaler Ansprüche, sondern die einseitige Landnahme durch eine zionistische Siedlerkolonisation. Das Besondere dieses Prozesses sah Matzpen darin, dass im Zuge seiner, zwar auf Kosten der Palästinenser, aber doch eine neue "hebräische" Nation entstanden war, die sich sowohl von den Juden in der Welt als auch von den Palästinensern unterschied.

Diese Nation der israelischen Juden müsse ihr koloniales Erbe abschütteln, um in der Region des arabischen Ostens eine Zukunftsperspektive zu haben. Im beginnenden Dialog mit Palästinensern musste auch diese Anerkennung eingefordert werden.

Kenntnis- und detailreich

Natürlich erfolgte diese Theoriebildung nicht in einem politischen Vakuum. Sie fand gleichzeitig mit dem Auftreten der Neuen Linken statt, der antiimperialistischen Bewegungen in der "Dritten Welt" und vor allem dem palästinensischen Widerstand. Lutz Fiedler schildert einfühlsam, kenntnis- und detailreich und am Beispiel der dramatischen Biografien von Beteiligten diesen Kontext, der immer auch vom Zivilisationsbruch des Holocaust berührt wird.

Dabei wird deutlich, dass eine Gruppe, die nie mehr als ein paar Dutzend Mitglieder zählte, einen bleibenden Einfluss entwickeln konnte, nicht zuletzt deshalb, weil das Thema Siedlerkolonialismus noch keineswegs abgeschlossen ist. Und Wladimir Zeew Jabotinsky, der Ahnherr der zionistischen Rechten (und damit des Likud), wusste schon 1923: "Es gibt keinen einzigen Fall, wo eine Kolonisation sich unter der Zustimmung der Eingeborenen vollzogen hat". Ein großartiges und bereicherndes Buch. (John Bunzl, 25.2.2017)