Die Tänzer der besten Sambaschulen Brasiliens üben für ihren anstehenden großen Auftritt im Sambódromo in Rio de Janeiro.

Foto: AFP / Yasuyoshi Chiba

Rio de Janeiro und der schillernd-bunte Karnevalstaumel gehören auch in Krisenzeiten zusammen. Einmal im Jahr und dieses Jahr ab Sonntag bringen die großen Sambaschulen bei ihren Umzügen eine Fabelwelt zum Erleuchten. Traditionell huldigt der berühmte Karneval in Rio der Schönheit und der Oberflächlichkeit – einer bunten Scheinwelt, die für einen Augenblick die Tristesse des Alltags vergessen lassen soll. "Nur einmal im Jahr ist es egal, ob arm oder reich, ob Politiker oder Straßenkehrer", sagt Karnevalskomponist Rodrigo Cadete. "Das macht die Faszination des Karnevals aus."

Politik, Korruption oder Umweltzerstörung spielen bei den Umzügen eigentlich keine Rolle. Doch dieses Jahr wird diese stille Übereinkunft durchbrochen, und das ausgerechnet von der angesehenen Sambaschule Imperatriz Leopoldinense, die schon acht Mal den Pokal für die beste Parade gewonnen hat.

"Das Herz von Brasilien blutet"

Schon die Vorstellung des Mottos der 1959 gegründeten Sambaschule sorgte für Aufruhr. Denn dieses Jahr würdigen die Sambistas die Ureinwohner vom Volk der Xingu, die in der Amazonas-Region leben und gegen die Zerstörung ihrer Lebensgrundlage durch illegale Abholzung und Agrarkonzerne kämpfen. Die mehreren Tausend Tänzer von Imperatriz geben ihre Stimme damit einem der am meisten bedrohten Völker Brasiliens. "Der heilige Garten wurde vom weißen Mann entdeckt. Das Herz von Brasilien blutet", heißt es in dem eigens komponierten Sambalied.

Dieses hochpolitische Thema löste sofort einen Schrei der Empörung bei der Agrarlobby aus. Es sei völlig inakzeptabel, dass das größte brasilianische Volksfest für Angriffe gegen Landwirte genutzt werde, erklärten Agrar- und Viehzüchterverbände. Senator Ronaldo Caiado, Mitglied der Agrarlobby, rief sogar den Kongress an und verlangte, dass künftig eine staatliche Kommission die Themen der Sambaschulen abnicken soll. Die Agrarwirtschaft sei schließlich "der große Stolz Brasiliens, der einzige Sektor, der nur positive Ergebnisse bringt".

Fabelwesen mit Giftspritzen

Für die Sambaschule Imperatriz ist die Aufregung kein Grund für Änderungen an ihrem Konzept. "Wir wollen ein Signal setzen und zeigen, wie bedroht die Indigenen des Amazonas sind, wie sie vertrieben werden", sagt Cahê Rodrigues, der den Titelsong geschrieben hat. Beim Einzug in Rios legendärem Sambódromo werden deshalb nicht nur Tänzer mit dem farbenprächtigen Kopfschmuck der Indigenen auftreten, sondern auch grüne Fabelwesen mit Tentakeln und Giftspritzen – eine Anspielung auf die Agrarkonzerne.

Respekt für ihren Mut bekommen die Sambistas nicht nur von Umweltschützern, sondern auch von den Machern des berühmten Straßenkarnevals in Rio. In den "Blocos" – allein in Rio gibt es rund 400 solcher Straßenumzüge – geht es ohnehin politischer zu. Hier gibt es Nachbildungen der geplanten US-Grenzmauer zu Mexiko oder brasilianische Politiker in Häftlingskleidung als Zeichen gegen die ausufernde Korruption.

Samba über Toilettenpapier

Die "Blocos" nehmen keine Rücksicht auf politische Animositäten. Anders als die großen Sambaschulen sind sie nicht auf zahlungskräftige Sponsoren angewiesen, auf die jene nach Meinung ihrer Kritiker ohnehin zu viel Rücksicht nehmen. Der bekannte Karnevalist Neguinho da Beija-Flor sagte dazu: "Wenn sie dafür zahlen, wird auch ein Samba über Toilettenpapier geschrieben."

Auch sonst lässt sich die Krise in Rio nicht durch den Karneval überdecken. Die Stadt hat sich mit den Olympischen Spielen völlig übernommen und musste im Juni den Finanznotstand erklären. Seitdem werden die öffentlich Bediensteten erst Monate später bezahlt. Just zur Karnevalszeit drohte die Polizei mit einem Streik. Deshalb patrouillieren jetzt 9000 Soldaten durch die Stadt. (Susann Kreutzmann aus São Paulo, 26.2.2017)