Wenn Bestandteile von Wörtern dem ursprünglichen Etymon nicht mehr zugeordnet werden können, dann besteht "Verdunklungsgefahr"1, und es kommt zu volksetymologischen Umdeutungen. So erging es zum Beispiel dem Spanferkel. Wir glauben, der Span im Ferkel bezeichnet den Spieß, der das Jungschwein der Länge nach durchbohrt und der, wenn sich die Glut gut entwickelt hat, über der Feuerstelle gedreht wird. Bis zur Auflösung müssen Sie sich ein wenig gedulden, denn vorerst kommt eine andere span(nende)2 Geschichte.
Es war einmal ein Stück Holz, eigentlich war es nur ein jämmerlicher Splitter, ein dünnes Hölzchen, das bei der Holzverarbeitung abfällt, wenn die Zimmerleute sägen und werken. Aber der Span hatte Ambitionen. Keinesfalls wollte er mit beleimten Artgenossen zu Spanplatten gepresst werden. Und er war auch nicht darauf erpicht, als Spanschachtel in Auslagen von Bastlergeschäften zu verkommen. Hingegen als dekorative Spandose, mit Branddruck verziert, Weichkäse zu beherbergen, dessen kann man sich schon rühmen. Da rümpfe mal einer die Nase.
Innerhalb der germanischen Dialekte hatte der Span Verwandte, nur im Gotischen nicht. Mittelhochdeutsch spân bezeichnet einen [Holz]span, aber auch einen Einschnitt ins Kerbholz. Sogar das lockige Haupthaar eines Ritters, das Hobelspankringeln ähnelte, konnte metaphorisch mit spân bezeichnet werden. Vom Diminutiv Spänlein beziehungsweise Spänel (mittelhochdeutsch spænelîn/spænel "kleiner Span; eingeringelte Haare") abgeleitet ist das Verb späneln. Und dieser schweißtreibenden Arbeit bedarf es, wenn man Brennholz braucht. Eine Axt ist vonnöten und ein Holzpflock. Und sich wenn die Holzscheite schwer spalten lassen, muss man mit einem Hammer einen Keil hineintreiben, bis das Scheit auseinanderbricht. In Zeiten, als die Wärme in den vier Wänden noch nicht aus der Ferne kam und ein Lichtspan die Bauernstube erhellte, musste fleißig Holz gehackt werden.
Apropos Lichtspan: Vier leidenschaftliche Musiker, die sich der Volksmusik verschrieben haben, nennen sich Spafudla. Im Namen dieser Gruppe verbirgt sich der Spanfudel, laut Schmellers Bayrischem Wörterbuch ein Kienspan, meist aus Buchen- oder Föhrenholz, der als Lichtspan benutzt wurde. Das Wiener Schimpfwörterbuch3 verzeichnet den "sierigen Spanfudla" als Geizhals. Aber auch exzessives Fasten macht aus einem Normalgewichtigen ein Klappergestell, einen Spanfudler4.
Zurück zu unserer Geschichte. Der Span schüttelte sich also kräftig, bis alle Sägespäne von ihm abgefallen waren, und machte sich auf den Weg, seine Verwandten im Norden zu besuchen. Der altnordische Vetter hieß spánn und war nicht nur ein nutzloses Abfallprodukt, sondern auch eine Schindel und sogar ein Utensil, mit dem man Suppe löffeln konnte. Auf der britischen Insel traf der Span auf einen anderen Cousin, der sich spōn nannte, aber der hatte unglaublichen Ehrgeiz, sich weiterzuentwickeln. Dass aus ihm ein spoon wurde, also ein Löffel, verdankte er den skandinavischen Nachbarn, und schließlich lief er in mittelenglischer Zeit zur Bestform auf. Heute gibt es tablespoons, teaspoons und wooden spoons.
Die Frühform des Löffels war also ein leicht gekrümmter Holzspan, mit dem man bereits vor undenklichen Zeiten die Suppe auslöffelte5.
Wenn von einem behauptet wird, "he was born with a silver spoon in his mouth", dann meint man, dass er betuchte Eltern hat. Die Redewendung geht auf ein Zitat von Oliver Goldsmith (1728-1774) zurück: "One man is born with a silver spoon in his mouth, and another with a wooden ladle", will heißen, dass die Ausgangsbasis halt nicht für alle Kinder gleich ist.
So. Ich will Sie nicht länger auf die Folter spannen. Nun verbirgt sich im Spanferkel aber nur vermeintlich ein Holzsplitter. Das Wort geht auf mittelhochdeutsch spenvarch/spanvarch zurück. Zum ersten Wortbestandteil spen/span6 gibt es die Nebenformen spünne/spüne "Mutterbrust, Zitze", die wir in althochdeutsch spunnifarah wiederfinden. Dem ursprünglichen Wortsinn nach ist ein Spanferkel also ein Milchferkel, das noch gesäugt wird.
Jetzt bleibt uns noch der Grünspan, der verdreht auch als Spangrün auftauchte. Er bezeichnet grün gefärbtes Kupfer(II)-acetat (laut Grimm’schem Wörterbuch: essigsaures Kupferoxyd). Die Bezeichnung ist eine Verballhornung von vulgärlateinisch viride Hispanunm. Und jetzt wissen wir, woher der Wind weht. Er kommt von der iberischen Halbinsel. Denn Grünspan bedeutet wörtlich "spanisches Grün" und bezeichnete ein Farbpigment, das im Mittelalter aus Spanien eingeführt wurde.
Zurück zum Span, von dem wir ausgegangen sind. Späne gibt's nicht nur aus Holz. Ich erinnere mich noch gut an die Physikstunde, in der die Eisenspäne tanzten und sich blitzschnell in Habachtstellung nach den Polen des Stabmagneten ausrichteten. Aber jetzt träume ich von einer Trüffelcremetorte mit Schokospänen, und mir läuft schon das Wasser im Mund zusammen. Aber zuvor werde ich rasch das Chaos in meinem Arbeitszimmer beseitigen und den Schreibtisch aufräumen, der übersät ist mit Zetteln und Wörterbüchern. Naja, wo gehobelt wird, fallen eben Späne. (Sonja Winkler, 27.2.2017)