Wer Religionswissenschaft studiert, sollte halbwegs kommunikativ und eloquent sein: Er oder sie wird nämlich im öffentlichen wie privaten Rahmen (also vom zwanglosen Kaffeegespräch bis zum Arztbesuch) so einiges gefragt werden: Die für GeisteswissenschaftlerInnen übliche Frage: "Und was machst du damit" kommt erst am Ende. Davor stehen Fragen wie: "Wirst du ReligionslehrerIn?" "Wirst du Pfarrer?" (hier ist aufgrund der katholischen Spezialbestimmungen kein Binnen-I angebracht), "Ist das was mit Islam oder so?"

Wer Religionswissenschaft an der Uni lehrt, wie ich, sollte noch kommunikativer und eloquenter sein: Ich muss zwar nicht die Frage, was ich mit diesem Fach zu tun gedenke, beantworten, wohl aber, was man denn als Professorin für Religionswissenschaft so unterrichtet: Eben: "Ist das für Religionslehrer, Pfarrer?" "Machen Sie Islam?" "Buddhismus?" "Sie können mir dann sicher sagen, was das für ein Fest war, da in Thailand mit den bunten Tänzern?"

Die Religionswissenschaft in Österreich

Religionswissenschaft gibt es als eigenes Studium in Österreich erst seit vergleichsweise kurzer Zeit, nämlich seit zehn Jahren (und wir in Graz waren die Ersten). In Deutschland ist das anders, da hat das Fach eine lange Tradition. Im katholischen Österreich war Religion eben katholisches Christentum und Religionswissenschaft folgerichtig ein Minifach im theologischen Curriculum. Und damit wir dieses Outing für die bekannt religionskritischen STANDARD-Lesern auch erledigt hätten: Wir, also die Religionswissenschaft, haben zwar mittlerweile in Wien, Graz und Salzburg eigene Masterstudien, organisatorisch sind wir aber nach wie vor an den Theologischen Fakultäten angedockt.

Das führt dazu, dass sich tatsächlich auch Religionslehrer und sehr selten angehende Pfarrer in meine Lehrveranstaltungen verirren. Es führt aber vor allem auch dazu, dass Abgrenzungen gegenüber ansonsten wirklich lieben Kollegen und Kolleginnen aus den theologischen Fächern zum Tagesgeschäft gehören, doch dazu ein anderes Mal mehr.

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Wir machen "vor allem Religion"

Religionswissenschaft lehren ist auf allen Ebenen und an allen Ecken und Enden ein Differenzierungsversuch: Religion aus einer wissenschaftlichen Perspektive zu betrachten, heißt zuerst einmal den Studis klar zu machen, dass man eben diese Perspektive nicht so einfach hat, sondern Religion aus dem katholischen Österreich kennt, selbst wenn man ohne Bekenntnis ist. Religionswissenschaft ist keine Fundamentalkritik an Religion(en) im Sinn der Autoren Ludwig Feuerbach oder Richard Dawkins, ebenso wenig aber ein Best of für interreligiöse Wohlfühlkreise. Religionswissenschaft beschäftigt sich mit Themen, mit denen sich andere auch beschäftigen: Den Islam haben die Politikwissenschaftler für sich entdeckt. Wallfahrt beforschen die Kulturanthropologen schon länger, als es unser Studium gibt. Und die Südostasienkunde lässt ihre Studierenden zwecks Spracheinübung mehr religiöse Texte lesen als die meisten unserer Studis je zu Gesicht bekommen. Alle diese Fächer machen "auch" Religion, wir machen "vor allem Religion" und "auch" ein bisschen was von den anderen.

Wir wissen nicht nur, wie man Religion definieren kann, wir wissen vor allem, dass es nicht eine, sondern viele Definitionen gibt. Religionswissenschaft lehren: Das heißt mit den Studis deren Eigenbau-Definitionen zu dekonstruieren und ihre Pro- und Kontra-Vorurteile im Idealfall gleich mit.  

Aus diesem Grund beginnen natürlich die wenigsten das Masterstudium bei uns. Wie so manches Studienfach, das von schnöden Ökonomen gern mit einer tropischen Zimmerpflanze verglichen wird (kurz: "Orchideenfach") leben wir von Teasern: Manche davon produzieren andere weltweit: Seit 9/11 braucht auf einer Lehrveranstaltung nur Islam drauf zu stehen und die Leute sitzen drinnen. Ich selbst, akademisch sozialisiert in der spätantiken Religionsgeschichte, setze auf Religion und Medien. Der seit Jahren in Teilnehmerzahlen gemessen Spitzenreiter ist "Das Geschlecht des Bösen", wo nach halbwegs gründlicher Religionsgeschichte von Teufel und Dämonen dann ausgewählte Filme und ihre Bezüge zu religiösen Traditionen dran sind. Wenn mich wildfremde junge Leute auf der Straße grüßen, dann waren sie in dieser Vorlesung und im Idealfall bleiben sie keine Wildfremden, sondern absolvieren das ganze Masterstudium. Wobei es noch viele, viele anderen gute oder schlechte Gründe gibt, Religionswissenschaft zu studieren, wie sich in diesem Blog demnächst nachlesen lässt.

Religionswissenschaft zu lehren ist ein Paradigma postmoderner (akademischer) Existenz: Man macht von vielem und mit vielen etwas, im Idealfall hat es sogar mit dem zu tun, was man vor langer Zeit einmal studiert hat (in meinem Fall: Germanistik, Latein, Katholische Theologie), man muss seine Relevanz in schöner Regelmäßigkeit unter Beweis stellen. Und man beschäftigt sich halbwegs distanziert und differenziert mit einem Thema, zu dem fast alle heute eine undifferenzierte und oft hochemotionale Meinung haben: Religion. (Theresia Heimerl, 1.3.2017)