"Ich würde nicht sagen, dass der Umgang mit einem Medium unbedingt ein größeres Verständnis schaffen kann."

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STANDARD: Jetzt wurde von Bildungsministerin Sonja Hammerschmid eine Digitalisierungsstrategie vorgestellt, die bereits in der Volksschule mit digitaler Grundbildung beginnen soll. Wie ist Ihre Einschätzung dieses Pakets?

Sonvilla-Weiss: Bereits seit Anfang der 1990er-Jahre ist immer wieder die Rede vom digitalen Klassenzimmer. Mit der Popularisierung der Computer wurde von den Bildungsministern immer versucht, dass diese Geräte auch Einzug in die Klassenzimmer halten, nicht nur im Informatikunterricht. Im Kunstunterricht wurde dazu sehr vieles unternommen in dieser Zeit. Und vom Bildungsministerium wurde dabei auch viel auf diese kreative Schiene gesetzt. Aber es geht darum, vom Reagieren zum Agieren zu kommen. Diesen Ansatz vermisse ich bei der heutigen Diskussion zum Thema Digitalisierung in der Bildung. Wir sollten nicht nur davon ausgehen, was die neuen Technologien mit uns machen, sondern uns damit beschäftigen, was wir mit ihnen machen können. Auch hinsichtlich der großen Herausforderungen, die noch auf uns zukommen werden, Stichworte: Biohacking oder Cyberwar.

STANDARD: Die aktuelle Digitalisierungsstrategie sieht ja Medienkompetenz und technisches Know-how in der Bildungslaufbahn vor. Für das Agieren sind das ja Grundvoraussetzungen, oder?

Sonvilla-Weiss: Grundsätzlich ist die Digitalisierungsstrategie sehr gut. Wir an der Kunstuni Linz sind hier Vorreiter. Seit 2009 bieten wir das Lehramtsstudium Mediengestaltung an. Coding als Kulturtechnik wird genauso selbstverständlich sein wie Lesen und Schreiben, und es soll bereits in der Volksschule gelehrt und gelernt werden. In der Digitalisierungsstrategie finden sich hier richtige Ansätze. Was mir aber noch wichtiger ist, ist unter dem Schlagwort Physical Computing – die Schnittstelle Mensch-Maschine – genauer zu betrachten. Dabei geht es darum, intelligente Dinge, die uns umgeben, zu dekonstruieren. Was kann ein Mobiltelefon, was ist alles drinnen, warum werden wir getracked und überwacht, das sind mögliche Fragestellungen – also vom Reagieren zum Agieren.

STANDARD: Ist das nicht ein bisschen viel, was hier alles in die Digitalisierungsstrategie gepackt werden soll?

Sonvilla-Weiss: Wenn wir von zwölf Schuljahren ausgehen – also von der Volksschule bis zur Matura – und wenn man diese Zeit auf ein anderes Unterrichtsfach umlegt, was da alles gelernt wird, dann hat auch in der digitalen Bildung einiges Platz. Man darf das nicht kurzfristig sehen, und ich glaube auch, dass sich die Schule öffnen muss. Wir haben letztes Jahr ein Symposium zu Medien und Bildung – Lebenswirklichkeit und kreative Potenziale von Jugendlichen gemacht, wo wir auch Digital Natives eingeladen haben, denn sie sind auf diesem Gebiet einfach am kompetentesten. Da muss von den Babyboomern noch ein Umdenken passieren.

STANDARD: Es ist aber ein sehr spezielles Wissen, braucht das wirklich jeder Schüler? Sollte hier nicht Basiswissen vermittelt werden und für Personen, die sich weiteres Wissen dazu aneignen wollen, gibt es vertiefende Angebote?

Sonvilla-Weiss: Man weiß aufgrund der PC-Anzahl, dass beinahe jeder Haushalt ans Internet angebunden ist. Viele Kinder wachsen mit einem Tablet auf, da gibt es bereits Grundfähigkeiten, die sehr spielerisch sind. Der Druck ist heute, dass versucht wird, eine Normierung herzustellen. Ein kreativer Ansatz fehlt, dass man nämlich einmal fragt, was will ich mit einem Medium, wie soll unsere Gesellschaft gestaltet werden. Es muss einen spielerischen Umgang geben, der das Medium hinterfragt, es dekonstruiert, um es neu gestalten zu können. Das fehlt in der aktuellen Diskussion.

STANDARD: Wie sinnvoll sind aus Ihrer Sicht Gratislaptops beziehungsweise Gratistablets für die Digitalisierung im Bildungsbereich?

Sonvilla-Weiss: Na ja, Laptopklassen gibt es ja seit den 1990er-Jahren. Damit wird aber nicht die Frage gelöst, was wir mit diesen Technologien machen wollen. Große IT-Wissenschafter haben für ihre Arbeiten quasi nie einen Computer verwendet, sondern alles mathematisch und konzeptionell bearbeitet. Dafür brauchen wir andere Fragestellungen – wie wollen wir unsere Zukunft gestalten?, was ist Zivilgesellschaft? –, und dafür braucht es auch andere Kompetenzen. (Gudrun Ostermann, 2.3.2017)