Der Langjökull ist nur mit speziellen Fahrzeugen zu befahren.

Fotos: Into the Glacier/Roman Gerasymenko
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Deit die "Into the Glacier"-Tour existiert, können Besucher durch einen Tunnel direkt in den Langjökull, den zweitgrößten Gletscher Islands, spazieren.

Foto: Getty Images/Morten Falch Sortland
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Wer es lieber kühl hat, kann in der Kapelle tief im Gletscher auch heiraten.

Fotos: Into the Glacier/Roman Gerasymenko

Ganz ohne Drama, ohne Lebensgefahr und ohne den Versuch einer Rettungsaktion ist das Reisegrüppchen in der Gletscherspalte verschwunden. Seit kurzem ist das komplett normal auf Island. Denn seit die "Into the Glacier"-Tour existiert, können Besucher durch einen Tunnel direkt in den Langjökull, den zweitgrößten Gletscher Islands, spazieren. Von einer kleinen Holzbrücke aus blickt man in jene Gletscherspalte, in der sich eine Eiswand auftut und die in einen Hohlraum führt, der ein Kunstwerk der Natur ist: voller Verästelungen und abstrakt wirkender Oberflächen, mit Eiszapfen in allen Größen und Formen.

Schon die Fahrt in den Westen der Insel ist wegen der umgebauten Vehikel ein Ereignis. Einst gehörten die Fahrzeuge der Nato, die damit Sprengköpfe durch Polen transportierte. Die Veranstalter der Gletschertouren ersteigerten sie in England und bauten sie zu Monsterjeeps um, in denen jeweils 35 Passagiere Platz finden. An diesem Tag könnte man allerdings glauben, dass weit mehr Leute drinsitzen, so laut stimmt die Gruppe französischer Versicherungsvertreter ein, als sich ein Scherzbold das Mikro schnappt und lauthals die Marseillaise hineinbrüllt. Die Guides übernehmen aber schnell wieder die Regie, als sich das Gefährt in Bewegung setzt und für zwei Stunden durch eine leere, bald gebirgigere Landschaft walzt.

Länger nach Neuschnee

Das westliche Hochland besteht aus einer graubraunen Felsmasse, in Küstennähe gesprenkelt mit vereinzelten Schneetupfern. Im Landesinneren werden Eis und Schnee zahlreicher, bis schließlich alles so weiß ist, dass man kein Oben und Unten mehr erkennen kann. Es scheint, als würde man mit dem Ungetüm von Jeep über Wolken rattern, bis es nun vor einem runden Tor im Nichts stehenbleibt.

Es ist der Eingang in den Gletscher, durch den die Gruppe rasch dem eisigen Wind entkommt. Ein röhrenartiger Gang, den der Neuschnee in diesem Winter um fast 35 Meter verlängert hat, führt weiter ins Innere. Fast könnte man den Bohrer, der noch am Ende des Zugangs herumliegt, übersehen, so klein ist er. Doch beim Höhlenbau hat er, an der Vorderseite eines Bulldozers befestigt, ganze Arbeit geleistet. "Von zwei Seiten wurde ein herzähnlicher Rundgang gebohrt", sagt Telma Rut, die die Gruppe durch den Tunnel führt. "Das musste äußerst präzise geschehen, damit sich die Gänge treffen. Erst beim zweiten Versuch hat es geklappt."

Islands zweitgrößter Gletscher

Die Idee eines solchen Gletschertunnels gab es schon länger. "Bislang wurden solche nur am Rand des Gletschers angelegt. Die sind aber schnell geschmolzen und irgendwann eingestürzt", sagt die Isländerin. Baldvin Einarsson und Hallgrimur Örn Arngrímsson, die beiden Initiatoren von "Into the Glacier", ließen sich davon nicht abschrecken. In Zusammenarbeit mit einer Ingenieursfirma tüftelten sie drei Jahre lang an dem Projekt. Der Langjökull, mit etwas weniger als 1.000 Quadratkilometern Fläche Islands zweitgrößter Gletscher – insgesamt bedecken die Gletscher elf Prozent des Landes -, sei für dieses Vorhaben besonders gut geeignet gewesen, sagt Telma: Er ist flach und hat wenige Gletscherspalten. Und die wenigen sind nicht allzu groß.

Folgen für die Umwelt soll das Projekt angeblich keine haben. Alles, was an Eis herausgeholt wurde, sei noch da und liege nun oben auf dem Gletscher. "Es ist so, als hätten wir einen Teelöffel Wasser aus einer Badewanne genommen und an anderer Stelle wieder reingegossen", meint Telma. Das Resultat ist ein stabiler Tunnel mit etwa 500 Metern Länge.

Lebendig am Gefrierpunkt

Weil der Boden im Gletscher rutschig ist, müssen alle Spikes an den Schuhe tragen. Dann beginnt die Tour, rund eineinhalb Stunden, in denen man sieht, wie der mächtige Druck auf das Eis wirkt. Kann man am Anfang noch ganze Eiskristalle an den Wänden ausmachen, verändert sich der Schnee, je tiefer man in das kalte Herz des Kolosses vordringt. Der Gletscherschnee, der sogenannte Firn, verliert durch zunehmenden Druck den Sauerstoff, wodurch Gletschereis entsteht. Jenes wunderschöne, klare Eis, das in Blautönen unterschiedlicher Intensität wahrgenommen wird. Dennoch muss man sich während der Tour wiederholt bewusstmachen, dass man tief in einem Gletscher ist. Da der Tunnel sauber von Menschenhand gefertigt ist, kann man schon einmal darauf vergessen.

Das offizielle Video
Into the Glacier

Beeindruckend sind die Stellen, an denen ersichtlich wird, dass der Gletscher eine Art Lebewesen ist. Bei konstant null Grad ist er ständig in Bewegung. Immer wieder deutet Telma auf Spuren seiner Aktivität, Risse etwa oder Löcher. In einem Abschnitt bohrten Forscher drei Kreise in die Wand, aus denen seither Ovale geworden sind. Sie führen deutlich die Bewegungen des Gletschers vor Augen.

Wieder der Natur überlassen

Am tiefsten Punkt des Tunnels wurde eine Kapelle errichtet. Dort haben schon einige Paare geheiratet, es finden aber auch Konzerte und andere Events statt. Die Akustik soll perfekt sein – ganz anders als weiter oben, wo der Tunnel aus Schnee besteht und alle Geräusche einfach verschluckt. "Will keiner etwas singen?", wird in die Runde gefragt. Und schon schmettert ein Dutzend französischer Versicherer wieder die Marseillaise, dass der Gletscher nur so bebt.

Einer Extrembeschallung dieser Art hält der Tunnel natürlich stand. Aber kann er aufgrund der ständigen Bewegungen nicht doch irgendwann in sich zusammenbrechen? Das sei sehr, sehr unwahrscheinlich, meint Telma. Würde es dennoch passieren, gäbe es Evakuierungspläne. "Man darf aber davon ausgehen, dass die Höhle 15 bis 20 Jahre hält", sagt sie. Doch irgendwann wird der Tunnel wieder der Natur überlassen. Dann ist hier alles so, als sei nie jemand im Inneren des Langjökull gewesen. (Sascha Rettig, 4.3.2017)