Wien – Es war eine der größten Flüchtlingsbewegungen seit dem Zweiten Weltkrieg, als im Jahr 2015 hunderttausende Menschen, großteils Vertriebene aus Syrien, in Europa Aufnahme suchten. Während Politik und öffentliche Hand vieler EU-Staaten zögerlich oder abwehrend auf die Herausforderung reagierten, überraschte – gerade in Österreich – das Ausmaß des zivilgesellschaftlichen Engagements.

Hunderte freiwillige Helfer verbrachten Tage und Nächte an Grenzen und Bahnhöfen, um die Erstversorgung der Flüchtlinge zu übernehmen. Tausende Bürger unterstützten Helfer und NGOs mit Kleidung, Schlafsäcken und Lebensmitteln. Aktivisten und hilfsbereite Bürger, beispielsweise rund um die "Train of Hope"-Bewegung am Wiener Südbahnhof, schufen von sich aus Infrastrukturen, Logistik und Abläufe.

Für das Zusammenspiel von Behörden, NGOs und engagierten Bürgern gab es in dieser Form keine Präzedenzfälle und keine vorgeprägten Strukturen. Umso mehr kann aus den Ereignissen gelernt werden, um künftig soziale Partizipation besser einschätzen und behördliche Strukturen besser abstimmen zu können.

Die Analyse der Bevölkerungsbeteiligung in der Akut- und Erstversorgung von Flüchtlingen hat sich Elisabeth Frankus vom Institut für Höhere Studien Wien (IHS) mit Kolleginnen und Kollegen im Projekt "auxilium:at" zur Aufgabe gemacht, das im Rahmen des Sicherheitsforschungsprogramms Kiras mit Mitteln des Verkehrsministeriums unterstützt wird. Verteidigungs- und Innenministerium, Caritas, Rotes Kreuz und das Sozialforschungsinstitut Ifes sind in dem 2016 angelaufenen Forschungsprojekt involviert.

"Mir geht's nicht darum, irgendjemanden anzuschwärzen, sondern die damalige Zusammenarbeit zwischen Zivilgesellschaft, Exekutive, Bundesheer und NGOs zu untersuchen, um zu sehen, was gut und was weniger gut funktioniert hat und daraus für ähnliche Situationen in der Zukunft zu lernen", sagt Frankus.

Daten sollen mit einer ganzen Reihe von Maßnahmen erhoben werden: Mit März startet eine quantitative Befragung, bei der 2000 zufällig ausgewählte Bürger etwa dazu befragt werden, ob, in welcher Weise und warum – bzw. warum nicht – sie sich an der Flüchtlingshilfe beteiligt haben. Polizisten sowie Ehren- und Hauptamtliche von Caritas und Rotem Kreuz werden online befragt, wie sie ihre Einsätze 2015 erlebt haben. Eine Liste der damaligen privaten Hilfsinitiativen soll – soweit rekonstruierbar – ebenfalls erstellt werden.

Feldforschungen

An zwei relevanten Orten werden qualitative Feldforschungen durchgeführt: In Traiskirchen und Nickelsdorf soll im Gespräch mit Bewohnern und Schlüsselpersonen wie Bürgermeistern, Schuldirektoren oder Ärzten ein Blick auf die Vorfälle 2015 sowie auf die aktuelle Situation geworfen werden. Schließlich soll eine Medienanalyse einen eventuellen Wandel des Stimmungsbilds gegenüber Flüchtlingen beobachten.

Wo liegen organisatorische, wo persönliche Grenzen der Hilfe? Wie gut fühlten sich die Helfer von Politik und Behörden unterstützt? Was ist aus den Initiativen von damals geworden? Es sind Fragen wie diese, die im Rahmen des Projektes beantwortet werden sollen. Ein wichtiger Punkt sind die Auswirkungen der Beteiligung auf den sozialen Zusammenhalt und sozialen Frieden. "Die akute Flüchtlingsversorgung könnte sich in dieser Hinsicht auch auf das Wir-Gefühl und das Wohl der Gesamtbevölkerung positiv auswirken", erklärt Frankus.

Informationsmangel

Manche Probleme von 2015 sind bekannt. Es hat zum Beispiel lange gedauert, bis grundlegende Informationen verfügbar waren – etwa was zu tun ist, wenn man ein Notquartier einrichten möchte, welche Verpflegung ratsam ist, wo man Feldbetten oder Kochutensilien beschaffen könnte, blickt Frankus zurück. Umstrukturierungen und Verbesserungen der Kommunikationsschnittstellen sollen verhindern, dass sich derartige Versäumnisse wiederholen.

Nicht zuletzt wollen Frankus und Kollegen auch der Frage nachgehen, wie es mit dem potenziellen zivilgesellschaftlichen Engagement heute und in Zukunft aussieht, nachdem viele Menschen das Flüchtlingsthema mit erhöhter Kriminalität und wirtschaftlichen Problemen in Zusammenhang bringen. "Der Einfluss der Medien ist hier nicht zu unterschätzen", erklärt die Sozialwissenschafterin. "Wir möchten herausfinden, ob sich die Einstellung der Menschen verändert hat und ob sie erneut helfen würden." (Alois Pumhösel, 4.3.2017)