Vilshofen – Bier, Brezel und Blasmusik ab acht Uhr früh, das muss man aushalten, und sehr viele im bayrischen Vilshofen tun dies mit Hingabe: Im Festzelt herrscht ausgelassene Stimmung, die größte politische Aschermittwochveranstaltung, die es je gab, wie die SPD stolz bekannt gibt. 5.000 Menschen sind gekommen, mehr als die CSU an diesem Tag aufbieten kann.

Darunter sind mehrere Busladungen aus Österreich, etwa 150 Genossen reisten aus Wien, Niederösterreich, Salzburg und Oberösterreich an. Insgesamt sind 180 Journalisten akkreditiert, irgendwie herrscht hier Ausnahmezustand: Es ist Wahlkampf, das Festzelt wurde im Vorfeld um 30 Meter verlängert. "Zeit für Martin" oder auch einfach "Jetzt Schulz" steht auf den Plakaten.

Zu erleben gibt es beim politischen Aschermittwoch der SPD in Bayern die rote Kanzlerhoffnung Martin Schulz, aber auch den österreichischen Bundeskanzler Christian Kern, der hier als Vorredner auftritt und das Zelt "rocken" soll, wie die SPD in froher Erwartung ankündigt. Und tatsächlich wird der Ösi-Kanzler mit begeistertem Applaus empfangen, das geht ihm runter wie Öl, das ist fast einschüchternd.

Im Festzelt der deutschen Genossen trinkt auch der Kanzler am Vormittag ein Bier.
Foto: APA/dpa/Angelika Warmuth

Vor seinem Auftritt wird noch das Werbevideo für Kerns Plan A eingespielt, auch das wird gefeiert, da gibt es für den Kanzler kaum etwas zu verlieren. "Hier spricht die Vorband von Martin Schulz", eröffnet der seine Rede und knüpft gleich die erste Pointe dran: "Ich bedanke mich, dass ihr mich ohne Maut einreisen habt lassen."

Er wolle es mit dem "Genre der staatsmännischen Bierzeltrede" probieren und erinnerte an Bruno Kreisky, der gerne in Bayern Urlaub gemacht hatte, "nicht mehr in Österreich, aber noch nicht in Deutschland". Kern zieht Vergleiche: "Ihr habt die AfD, wir haben die FPÖ", auch die sei interessanterweise deutschnational. Die Alternative, die die AfD zu bieten habe, bestehe wohl nur darin, das Auto in den Graben zu fahren. Kern über die Rechtspopulisten: "Die springen los im Tigerkostüm, landen als Bettvorleger." Das kommt an.

Gewinne nach Panama verschieben

Ernster wird Kern, als er über Digitalisierung und Globalisierung spricht. "Wir können nur eine einzige Entscheidung treffen: Lassen wir uns überrollen, schauen wir tatenlos zu oder versuchen wir, den Prozess zu gestalten? Wir müssen uns an die Spitze dieses Prozesses stellen." Und er spricht gleich das Gerechtigkeitsthema an. Die einen kämen mit ihrem Einkommen aus harter Arbeit kaum über die Runden, während die Superreichen den ganzen Tag über nicht anders zu tun hätten, als ihre Gewinne nach Panama zu verschieben.

Kern: "Am Ende werden die Ärmsten gegen die Allerärmsten ausgespielt. Unsere Herausforderung ist die Solidarität, wir müssen ein sozialdemokratisches, solidarisches Modell entwickeln." Die "brutale Ungleichheit" dürfe nicht zur Realität werden.

In den USA sei die Reality Show zum politischen Alltag geworden, sagt Kern. Donald Trump gehe es nicht um Altruismus, es gehe nur um Interessenlagen, "da ist der Bock zum Gärntner gemacht geworden". Kern erzählt den SPD-Anhängern von Harald Vilimsky, dem Generalsekretär der Freiheitlichen, der ein Selfie mit Trump gepostet hatte und dazu schrieb, was für ein großartiger Politiker der sei, "weiter so". "Weiter so?", fragt Kern, "das Gesundheitssystem zerstören, weitere Privilegien für Banken, den Kampf gegen Klimawandel schwächen, die Pressefreiheit aushöhlen?"

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SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz konnte das Festzelt "rocken".
Foto: REUTERS

Wer Rechtsdemagogen wähle, bekomme rechtsdemagogische Politik, Kern versucht es für das Bierzelt auf den Punkt zu bringen: "Für die Reichen Sekt und Kaviar, für den Rest eine Mauer." Trump wolle wieder Kriege gewinnen, zitierte Kern den US-Präsidenten, als Bundeskanzler müsse er hier sagen: "Wir sind besorgt, das ist das mindeste." Szenenapplaus gibt es, als sich Kern das Sakko auszieht und dieses in der Luft schwenkt. Er beruhigt den Saal: "Üblicherweise bleibt es beim Sakko."

In Europa die Zukunft zu sehen, heiße auch, Europa zu kritisieren, sagt Kern. "Eine bessere Zukunft für unsere Kinder, zu diesem Versprechen müssen wir wieder zurück. Weiterwursteln ist für uns keine Alternative." Und er flicht einen Vergleich ein, den er in Wien schon oft angebracht hat: Jede Würstelbude würde im Land mehr Steuern zahlen als der Weltkonzern Apple. "Wenn Europa sein Wohlstandsversprechen und sein Sicherheitsversprechen einlösen will, dann muss der Kurs geändert werden", dafür könne nur eine starke sozialdemokratische Politik stehen.

Für Heimatliebe

Zum Schluss seiner Rede holt Kern noch einmal ordentlich aus. "Wir stehen für eine Politik des Miteinander, gegen das Aufhetzen der Menschen. Wir stehen für eine Politik der Hoffnung und gegen eine, die Zweifel nährt. Wir stehen für Heimatliebe, gegen Nationalismus." Dafür gibt es in Vilshofen Beifallstürme, ehe im Saal "Hoch die internationale Solidarität" skandiert wird. Und Kern übergibt an Schulz: "Die Sauna ist vorgeheizt."

Martin Schulz schließt an Kern an, spricht die AfD an, die 20 Kilometer entfernt FPÖ-Chef Heinz Christian Strache zu Gast hat. "Wir sind ein Bollwerk gegen Ausgrenzung, gegen die Abschottung, gegen den Ultranationalismus." Und Schulz bekennt sich ausdrücklich zur Europäischen Union: "Wenn Europa stark ist, sind wir auch in unseren Ländern und Regionen stark." Der designierte SPD-Vorsitzende zitiert schließlich Alexander Van der Bellen. Es sei nicht schwer, Europa zu zerstören, aber sei ungleich schwerer, es wieder aufzubauen.

Kein Schlechtreden der EU

Diejenigen, die den Nationalstaat an die Spitze stellen wollen, seien "Nationalisten, keine Patrioten, sie dürfen uns nicht die Zukunft stehlen". Von ihm komme "ein klares Nein an die Ultranationalisten, die Europa zerstören wollen". Mit Schulz werde es kein Schlechtreden der Europäischen Union geben, beteuert er.

In der Flüchtlingsfrage fordert Schulz internationale Solidarität ein, geißelt in einem Aufwaschen Victor Orban, Donald Trump und Recep Erdogan, was von empörten Buh-Rufen begleitet wird. Schließlich macht sich Schulz für die Medienfreiheit stark, in den USA, besonders aber auch in der Türkei, und rät deren Präsidenten Erdogan, derzeit nicht nach Deutschland zu kommen: "Er soll sich lieber um die Medienfreiheit in der Türkei bemühen, als um Wahlkampf in Deutschland."

Die Gäste schwenkten Fahnen und hielten "Schulz"-Schilder in die Luft.
Foto: Michael Völker

Für den Wahlkampf verspricht Schulz: "Wir kämpfen mit harten Argumenten, aber nicht persönlichen Beleidigungen oder Verunglimpfungen", auch im Bierzelt werde der politische Mitbewerber nicht zum Feind. Das Angela Merkel gesagt habe, sie habe Lust auf Neues, wundert Schulz. Zu CDU und CSU sagt er: "Sie erledigen nichts miteinander, sie erledigen alles durcheinander." Das Neue werde eine SPD-geführte Bundesregierung sein.

Milliarden für Banken

Das Thema Gerechtigkeit spart auch Schulz nicht aus. "Das Land, in dem das Unternehmen seinen Profit macht, muss auch das Land sein, in dem es seine Steuern zahlt." Und weiter: "Wenn wir in der Lage sind, kurzfristig Milliarden für die Rettung der Banken locker zu machen, aber kein Geld für die Schulen haben, in denen der Putz von den Decken bröckelt, dann ist das nicht gerecht." Nicht in eine Steuerreform dürfe investiert werden, die Reiche reicher mache: "Wir müssen in Ausbildung investieren, in Forschung, in Qualifizierung, in Kindergarten, in Schulen und Straßen."

Die Zuhörer sind begeistert, tatsächlich ist es Schulz, der das Festzelt rockt, und als er sagt "Die SPD tritt an, um stärkste Kraft in Deutschland zu werden", stehen die Menschen längst und schwenken ihre rote Fahnen. Als Schulz noch verspricht: "Ich trete an, um Kanzler der Bundesrepublik Deutschland zu werden", das geht bereits in begeisterten "Martin"-Rufen unter. Da steht längst auch Kern und applaudiert dem deutschen Genossen.

Eines muss Schulz noch anbringen: "Wann immer die Hetze gegen Minderheiten, die Niedertracht in organisierter Form ihre hässliche Fratze erhoben hat, dann war es eine Kraft, die sich dagegen gestellt hat und die die Demokratie verteidigen wird, das ist in Österreich die SPÖ und in Deutschland die SPD – mit einem Wahlsieg am 24. September." (Michael Völker, 1.3.2017)