Die große Kohlfamilie (Brassica oleracea) beweist eindrucksvoll, dass auch bei Gemüse Aussehen bei weitem nicht alles ist. Das stolze Rotkraut braucht meist erst einiges an Gewürzen (oder Fermentation), um auch aromatisch zu strahlen, der Zierkohl ist auf dem Teller deutlich unauffälliger als im Blumenbeet, und der barocke Romanesco ist geschmacklich äußerst schwach auf der fraktalen Brust. Das genaue Gegenteil dieser haltlosen Gemüseprotzerei ist Cime di Rapa, der hierzulande am wenigsten bekannte Brassica.

Der Name bedeutet ganz bescheiden in etwa Rübensprossen, optisch ähnelt er eher Unkraut am Wegesrand: Er hat ganz gewöhnliche grüne Blätter, die ein wenig an ins Kraut geschossenen Kohlrabi erinnern, und einen dicken Stängel, der unangenehm fasrig wirkt. Seine Blütendolden sind unauffällig blassgelb und nicht einmal halb so geschwollen wie bei seinem berühmten Kollegen, dem Brokkoli. Wer ihm daher auf dem Markt oder beim Gemüsefachhändler begegnet, wo er im Spätwinter gelegentlich angeboten wird, lässt ihn schnell einmal unbemerkt links liegen, auch mir ist das viel zu lange passiert. Wer ihm aber einmal eine Chance gibt, verliebt sich mitunter nachhaltig in ihn.

Foto: Tobias Müller

Er schmeckt, ganz auf sich gestellt, so komplex und würzig, dass die Australierin mich bei unserem ersten gemeinsamen Cime-di-Rapa-Fest gefragt hat, mit welchen indischen Gewürzen ich ihn denn aufgepeppt hätte. Seine zarte Bitternote erinnert an seine wilden, ungezähmten Vorfahren, und erinnert den Esser daran, dass er am besten im Winter gedeiht, wenn auch andere Bittergemüse wie der Radicchio Saison haben. Seiner Optik zum Trotz verliert er, einmal gegart, all seine Ruppigkeit, und wird, anders als etwa Grünkohl, butterweich, vor allem die dicken Stängel zerschmelzen richtig. Und seine natürliche Affinität zu Kohlenhydraten macht ihn zur perfekte Pasta- oder Toastbrotauflage.

Verbreitet in Südeuropa

Cime di Rapa stammt zwar, anders als Brokkoli oder Kohl, von zentralasiatischen Vorfahren (Brassica rapa) ab, wird aber dennoch vor allem in Südeuropa angebaut und gegessen. Dass er bei uns kaum zu finden ist, könnte auch daran liegen, dass sein lieblicher italienischer Name auf Deutsch zum Stängelkohl mutiert. Am berühmtesten ist Cime di Rapa vielleicht in Apulien, wo er traditionell mit Orechietti serviert wird, einer Pastaform, die an Muscheln erinnert und in der sich seine Stücke gut verfangen. Falls Sie aber nur gemeine Spaghetti oder Linguini zur Hand haben, macht das auch nichts.

So wie bei allem, was von sich aus richtig gut ist, sollte der Koch auch dem Cime di Rapa nicht zu viel Gewalt antun. In Apulien wird er in reichlich Olivenöl gebraten und mit ein wenig Knoblauch, Chili und je nach Gegend (Küste oder Hinterland) Wurst und Sardellen gewürzt. Ich habe mich aufgrund meiner großen Liebe zu den kleinen Fischen für Letzteres entschieden (ganz generell gibt es kein Gemüse, das mit ein wenig Sardellen nicht besser werden würde). Daneben braucht es bloß ein wenig Zeit, um ihn weich zu garen, aber selbst das geht schneller, als man vermuten würde: 30 Minuten reichen völlig. In vielen Rezepten, die ich im Internet gefunden habe, wird der Cime di Rapa vor dem Braten blanchiert, um ihm seine Bitterkeit ein wenig zu nehmen. Ich finde das unnötig – kosten und entscheiden Sie am besten selbst.

Cime di Rapa mit Pasta für zwei

Etwa ein halbes Kilo Cime di Rapa zerlegen: Die Blätter von den Stängeln trennen und in mundgerechte Stücke schneiden, die Blütenstände abnehmen und ebenfalls zerteilen. Die dickeren unteren Teile der Stängel schälen und eventuell holzige Stücke abschneiden, dann in dünne Scheiben schneiden.

Foto: Tobias Müller

In einer Pfanne ordentlich Olivenöl auf mittlere Hitze bringen und vier Sardellenfilets darin braten, bis sie sich aufgelöst haben und das Öl braun geworden ist. Zwei, drei gehackte Knoblauchzehen und Chili nach Geschmack dazugeben und kurz braten, bis sie duften und ihr rohes Aroma verloren haben. Die Hitze hochschalten, den in Form gebrachten Cime di Rapa dazugeben, und so lange braten, bis die Blätter zusammengefallen sind. Mit einem Schuss Weißwein ablöschen, auf niedrige Hitze schalten, einen Deckel auf die Pfanne geben und etwa 30 Minuten dünsten.

In der Zwischenzeit die Pasta in möglichst wenig Wasser al dente kochen. Beim Abseihen einen Schuss Kochwasser aufheben. Die Nudeln zum Gemüse in die Pfanne geben, über mittlerer Hitze durchschwenken und mit dem Pastawasser die Sauce sämig werden lassen. Wer mag, der streut noch ein wenig geriebenen Hartkäse dazu. Heiß, idealerweise mit einem kräftigen Weißwein servieren. (Tobias Müller, 5.3.2017)

Foto: Tobias Müller

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