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Was ist im Bildungssystem eigentlich schief gelaufen?

Foto: AP/Luca Bruno

Risikoschüler? In der ersten Klasse Volksschule? Risiko für was oder wen? Eine genauere Definition dieses Terminus bleibt uns der Artikel "Neuer Test soll Risikoschüler identifizieren" schuldig. Doch bei genauerer Durchsicht wird rasch klar, dass unter "Risikoschüler" jene Erstklässler zu verstehen sind, die bei der Nacherzählung sowie Fortsetzung einer Bildgeschichte Schwierigkeiten mit der korrekten Anwendung von Präteritum und Futur aufweisen. So leicht kann man also heutzutage in Österreich zu einem Risiko werden.

Doch worin genau liegt denn nun eigentlich die Gefährdung? Dem jeweiligen Sechsjährigen dürfte die bevorzugte Zeitform des zur Testauswertung angewandten Algorithmus wohl eher "schnurz" sein, wichtiger ist ja wohl der Geschichteninhalt, oder? Aber weit gefehlt. Denn hier geht es um Pisa, und da kennen unsere "Risikopolitiker" keinen Spaß. Da ist absolut Schluss mit lustig. Wen interessiert ein vor Kreativität strotzender Inhalt, wenn sich da dauernd das Perfekt vor das Futur gedrängt hat? Fast so wie im richtigen Leben, möchte man meinen. Kinder leben nun einmal in der Gegenwart und nicht in der Zukunft. Ganz anders dafür unsere Risikopolitiker. Die sind nämlich außerordentlich Futur-orientiert. Nicht etwa der Kinder wegen, sondern eben wegen Pisa.

Pisa über alles

Als ich ein Taferlklassler war, verband ich mit diesem Wort maximal einen Turm, der es irgendwie nicht geschafft hatte, im rechten Winkel gen Himmel zu wachsen. Heute treibt es bei diesem Wort allen in irgendeiner Weise mit (Schul-)Bildung betrauten Personen den Angstschweiß auf die Stirn. Was ist hier eigentlich schiefgelaufen? (Ah, da besteht ja doch ein Zusammenhang mit besagtem Turm!)

Soweit ich mich erinnern kann, sollte die Pisa-Studie ursprünglich den einzelnen Staaten bei der Ermittlung von eventuell vorhandenen Defiziten ihres Bildungssystems dienen. Doch mittlerweile haben sich die Verhältnisse verkehrt, und der sprichwörtliche Bock wurde zum Gärtner gemacht. Unseren Risikopolitikern scheint mittlerweile auch das abstruseste Mittel recht zu sein, wenn es darum geht, "Gott Pisa" gnädig zu stimmen. Da geht es nicht mehr darum, unseren Kindern ihre Wissbegierde, ihre Lernfreude oder gar ihre Kreativität zu erhalten. Alles Dinge übrigens, die einem Staat auf lange Sicht durchaus auch in ökonomischer Hinsicht – und darum dreht sich hier in Wahrheit doch alles, oder? – äußerst nützlich sein würden. Vielmehr müssen unsere Kinder und Jugendlichen einen Großteil ihrer wertvollen Zeit – ja, auch für junge Menschen ist ihre Zeit wertvoll! – sinnlos damit verplempern, sich auf noch viel sinnlosere Tests vorzubereiten, um dann bei einem länderübergreifenden Vergleichstest unsere Risikopolitiker zu erfreuen.

Paradigmenwechsel dringend erforderlich

Haben sich die in die Generierung dieses Risikoschüler-Ermittlungstests involvierten Politiker auch nur einen einzigen Gedanken darüber gemacht, was dieser Stempel – Risikoschüler – für das einzelne Kind, für dessen Selbstbild und in weiterer Folge für dessen akademische Zukunft bedeuten kann? Ein Kind kann die größten Begabungen in sich tragen, solange unsere Risikopolitiker ihre defizitfokussierte Sichtweise nicht erkennen und somit abschütteln und in eine stärkenbetonende Vorgehensweise umwandeln können, wird dieses Bildungssystem zwangsläufig eine Flut weiterer demotivierter, orientierungsloser und bildungsaversiver Schulabsolventen hervorbringen.

Früher hieß es einmal: "Nicht für die Schule, sondern fürs Leben lernen wir." Dieser Ausspruch musste mittlerweile leider modifiziert werden und lautet nun: "Nicht für das Leben, sondern für Pisa lernen wir." (Nicole Bachleitner, 7.3.2017)