Rapsblüte im Luberon – hier vor den Toren der Ortschaft Murs.

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Bergdörfer wie Gordes geben dem Luberon nicht nur ein malerisches Antlitz, sie zogen auch reihenweise Maler an. Marc Chagall und Victor Vasarely etwa, die beide in dieser Gemeinde lebten und arbeiteten.

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Das Chateau de Vauvenargues gehört Pablo Picasso. Vor dem Portal ist er bestattet.

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Ein Lavendelfeld nahe Sault in der Provence.

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Manchmal duftet der Frühling nicht. Dann leuchtet er nur. In strahlendem Gelb, enorm satt und intensiv. Als würde sich die Sonne in den Blüten auf den Äckern spiegeln. Zypressen säumen diese Felder in loser Folge wie vom Himmel gefallene Ausrufezeichen, Gehöfte aus aufeinandergestapelten Natursteinen thronen auf sanften Hügeln inmitten all dieses Gelbs. Das aber, was da so intensiv blüht und nicht duftet, erwartet hier keiner – nicht mitten in der Provence, nicht im Lavendel-Land: Raps. Bis hinter den Horizont. Endlose Felder bei Murs im Luberon zum Beispiel – und anderswo. Es ist das andere Gesicht der Provence – das des Frühlings. Das Land hat eine andere Farbe um diese Jahreszeit.

Still ist es drumherum, fast kein Auto ist jetzt auf den schmalen Asphaltbändern unterwegs, die sich durch die Hügellandschaft 50, 60 Kilometer östlich von Avignon und eineinhalb Stunden nördlich von Marseille von Dorf zu Dorf winden. Ein Lieferwagen hier, ein Traktor dort – kein Wohnmobil, keine Campinggespanne und fast kein Wagen mit ausländischem Kennzeichen. In den Cafés haben die Kellner Zeit zum Plaudern, in den Restaurants sind die besten Plätze auf den Terrassen frei.

Gelb im Lavendel-Land

Wenn die Provence gelb leuchtet, ist es ruhig. Im Frühling scheint kaum ein Urlauber diese Region auf der Agenda zu haben. Und erst im Sommer wird es wieder so richtig voll – und teurer: Wenn die ganze Gegend in zartes Lila getaucht ist und über allem ein intensiver Blütenduft liegt. Es ist das Antlitz, für das diese Region berühmt ist. Das Bild, das auf jedem Reiseführereinband zu sehen ist und die Tourismuswerbung bestimmt.

Régine Liardet zuckt mit den Schultern. Sie ist ein wenig mitschuldig am Lila-Klischee. Die Frau ist Lavendelbäuerin in Sault. "Dabei blüht der Lavendel", sagt sie, "frühestens von Mitte Juni bis maximal Ende August. Aber irgendwie ist sein Violett zu unserer Farbe geworden." Was sie vom Gelb der Rapsblüte hält? Vom Frühling? "Ach, das schönste an der Zeit außerhalb der Lavendelblüte ist, dass dann viel weniger los ist", sagt sie. "Die Provence ist noch urtümlicher, unsere Dörfer liegen ruhig da. Und Du kriegst überall einen Parkplatz."

Chef von 60.000 Bienen

Régine Liardet ist hier zur Welt gekommen, hat im Alter von fünf Jahren zum ersten Mal ihrem Vater bei der Ernte geholfen und später gemeinsam mit ihrem Sohn den elterlichen Hof übernommen. Sie führt ihn bis heute, hat auch im Frühling geöffnet, verkauft in ihrem Hofladen Lavendelseife, Duftöle, Parfum – und, anders geht es zur Zeit nicht, getrocknete Lavendelsträuße.

Mindestens sechs Wochen ist die Vegetation im Süden Frankreichs dem Rest des Landes normalerweise voraus. Die vielen Mitarbeiter von Bernard Voisin sind deshalb bereits im April aktiv – auch ohne Lavendel. Der Mann ist einer der größten Arbeitgeber der Region. Für ihn sind über 19 Millionen Beschäftigte im Einsatz, die meisten davon Saisonkräfte. Sozusagen. Voisin ist Chef von über 320 Stöcken mit jeweils 60.000 Bienen. Er ist Imker und verkauft den Geschmack der Provence im Glas – herrlich duftenden Lavendel-Honig im Sommer. Und aktuell eben Rapshonig. Seine Bienen sind nun in den Feldern und auch auf den Kirschplantagen bei Saint-Saturnin-les-Apts unterwegs, tanzen durch die Kelche, bis die Sonne im Westen hinter den Hügeln verschwindet.

Der Himmel ist sattblau

Morgens hängt oft noch Nebel in den Pinien hinter den Häusern und taucht die Nachbargebäude in geisterhaftes Licht. Von irgendwoher bellt ein Hund, es duftet nach Pinien und Kräutern und ein bisschen nach Hustenzuckerl. Sobald sich dieser Vorhang zu lichten beginnt, setzt regelmäßig das Vogelkonzert ein – und eine halbe Stunde später ist keine Spur mehr von diesem Schleier. Wieder klettert das Thermometer auf 20 Grad, wieder ist der Himmel sattblau, wieder leuchten alle Farben.

Es ist dieses besonders intensive Licht, das seit jeher Künstler zum Malen in die Region gelockt hat – im Frühling und im Herbst mehr noch als im Sommer. Erst Vincent van Gogh weiter südlich nach Arles, dann Cézanne immer wieder an die Montagne Sainte-Victoire mitten in der Provence, schließlich Pablo Picasso. Der hat sich vor fast 60 Jahren das trutzige Schloss von Vauvenargues bei Aix-en-Provence gekauft, dort sein Atelier eingerichtet, einfach aus dem Fenster geschaut, sich mit dem Licht und den Farben aufgeladen – und dann gemalt. Weil er dort so viele Landschaftsbilder in so kurzer Zeit geschaffen hat, nennen Kunsthistoriker seine Zeit in der Provence "Picassos grüne Periode". Vor dem Portal des Schlosses ist er bestattet.

Radieschen und Rosé

Wie der Frühling in der Provence schmeckt? Nicht nur nach Honig, auch nach dem ersten frischen Gemüse der Saison, nach knackigem Salat aus der Region, nach Radieschen und Paradeisern, nach selbstgemachtem Käse direkt vom Bauernhof. Und nach einem Gläschen Rosé auf einer Restaurant-Terrasse mit Blick über diese irgendwie archaische Landschaft, all diese in die Gegend gesprenkelten Dörfer, denen noch niemand eine Fabrik neben die Dorfkirche gepropft oder ein Hochhaus vor die Stadtmauer gepflanzt hat. Die Provence – gerade im Luberon – ist noch so stimmig, so unverdorben. Und was zerstört war wie das Dorf Gordes, ist wieder aufgebaut. Es macht Spaß, durch die Märkte zu flanieren, in kleinen Geschäften Zutaten zum Kochen zu kaufen. Und am Ende schmeckt die Provence nach allem, was deren herzhafte Landküche mit mediterranem Einschlag hergibt – ob am Herd eines Ferienhauses oder im Lokal.

Wenn man später zuhause eines der Honiggläser aus dem Luberon aufschraubt und kostet, dann ist der Geschmack der Provence auf einen Schlag wieder da. Aber was tun, wenn der Honig aus ist? Wieder hinfahren – im Frühling. (Helge Sobik, 6.3.2017)